Schwaben-Zorn
Gewächse der unterschiedlichsten Arten standen auf engstem Raum beieinander. Der würzige Duft verschiedener Kräuter und Gewürze lag in der Luft.
Sie erreichten das Ende des über und über bepflanzten Gebäudes, traten ins Freie. Der kalte Nebel schien einer anderen Welt zu entstammen. Braig beeilte sich, den kleinen Schuppen zu betreten, dessen Tür Böhmer mit einem kräftigen Schlag entriegelt hatte und ihm jetzt offen hielt. Es handelte sich um einen geräumigen Werkzeugraum, in dem Gartengeräte aller Art aufbewahrt und repariert wurden. Rasenmäher, Schläuche, Schaufeln, Spaten – alles war in überreicher Auswahl vorhanden. Braig entdeckte eine Gruppe weißer Holzbänke, sah, dass Böhmer darauf zusteuerte.
»Bequem sind sie nicht«, sagte der junge Mann. Er zog eine durchsichtige Plastikplane zur Seite, setzte sich.
Braig winkte ab, wischte den feuchten, schmutzigen Belag ab, tat es dem Mann nach. »Also, wie war das vorgestern mit Frau Bangler?«
Böhmer starrte auf den mit kleinen Erdbrocken und Holzspänen übersäten Boden. »Sie winkte mir aus einer S-Bahn, als ich auf meinen Zug wartete. Ich winkte zurück und da stieg sie plötzlich aus.«
»Und?«
»Sie wollte sich mit einer Freundin in der Stadtmitte treffen, aber die hatte einen Unfall und sagte ihr kurzfristig ab. Sie hatte das Handy noch am Ohr, da sah sie mich auf dem Bahnsteig stehen und spurtete aus dem Zug. Sie wusste nicht, weshalb sie weiterfahren sollte.«
»Sie unterhielten sich mit ihr?«
Sein Gesprächspartner nickte.
»Wie lange?«
»Bis meine S-Bahn kam. Drei, vier Minuten vielleicht. Und dann im Zug.«
Braig schaute den jungen Mann überrascht an. »Sie stieg mit Ihnen in den Zug?«
»Ja, natürlich, hat Sie es nicht erzählt?«
Die Frage kam Braig etwas zu aufgesetzt vor. Er versuchte, die Mimik Böhmers zu studieren, hatte im dämmrigen Licht des Werkzeugraumes Schwierigkeiten, die Gesichtszüge des Mannes genau zu erkennen. Ihm schien, als ob sein Gegenüber seine Unkenntnis nur markierte. Vielleicht war er doch kein so guter Schauspieler, wie er zuerst vermutet hatte.
»Wohin fuhren Sie?«
»Wohin wohl? Zu mir nach Welzheim. Ich kam von der Arbeit und wollte nach Hause.«
»Frau Bangler begleitete Sie in Ihre Wohnung?« Braigs Entsetzen war seiner Stimme wohl deutlich anzuhören; der junge Mann gaffte ihn jedenfalls mit weit aufgerissenen Augen an.
»Ich dachte, Christina hat es Ihnen erzählt?«
»Mir ist es wichtig, alles aus Ihrem Mund zu hören.«
»Dann wissen Sie auf jeden Fall schon, warum sie nicht lange bei mir blieb.«
»Warum?«
»Es hatte keinen Sinn. Der Nebel war viel zu dicht.«
Braig schaute ihn fragend an, wartete auf eine Erklärung. Es dauerte eine Weile, bis Böhmer weitersprach. »Im November kann man manchmal wochenlang keine Sterne sehen.«
»Frau Bangler fuhr also von Cannstatt aus mit Ihnen nach Welzheim, um Sterne zu betrachten?«, fragte er.
»Die Idee kam mir unterwegs. Christina war schon zwei- oder dreimal bei mir und jedes Mal unheimlich fasziniert, deshalb schlug ich es ihr vor.«
»Aber dann klappte es nicht.«
»Ich hatte sie vorher schon gewarnt. Aber wie dicht der Nebel wirklich ist, entscheidet sich erst vor Ort. Manchmal hängt Cannstatt voll im Dunst und in Welzheim ist alles klar. Es liegt höher, fast zweihundert Meter.«
Braig nickte, konnte das nachvollziehen. Der Stuttgarter Talkessel lag nicht nur im Herbst und Winter, oft genug auch im Sommer unter einer giftigen Gasglocke aus schmutziger Luft – das unmittelbar benachbarte Cannstatt war trotz der angeblichen Frischluftschneise des Neckars nicht viel besser dran. Stadtautobahn neben Stadtautobahn sorgten dafür, dass sich Massen von Blechkarossen ins Zentrum wälzten, die krebserregende Partikel und Gase ausspien. Oft genug, wenn Braig – beruflich oder privat – im Umland zu tun hatte, erlebte er völlig andere Witterungsbedingungen als in der direkten Umgebung der Landeshauptstadt. Dass es in diesen feucht-kalten Novembertagen aber fast überall dichte Nebelschwaden gab, damit musste man rechnen.
»Was unternahmen Sie stattdessen?«, fragte er.
»Nichts.«
»Hatten Sie Streit mit ihr?«
Böhmer schaute kopfschüttelnd zu ihm her. »Streit? Weshalb?«
»Was weiß ich. Weil das mit den Sternen nicht klappte, zum Beispiel.«
Sein Gegenüber prustete laut. »Das war doch nicht meine Schuld. Außerdem hätte sie ohnehin nicht lange mitgemacht. Da kam schließlich der Anruf.«
»Welcher
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