Schwaben-Zorn
Frau, der er gestern die schlimme Botschaft vom Tod ihrer Schwester hatte überbringen müssen, versprach sofort, Rücksicht auf ihre psychische Verfassung zu nehmen. Er hörte, wie sich die Schritte am anderen Ende der Leitung entfernten, wartete, bis Rebekka Bangler am Apparat war.
Sie meldete sich mit ihrem vollen Namen, die Stimme fester, als er erwartet hatte.
»Steffen Braig«, sagte er, »Sie erinnern sich noch an mich von gestern?«
Sie bejahte seine Frage, erkundigte sich nach dem Grund seines Anrufs.
»Ich suche einen Markus«, erklärte er, »einen Bekannten Ihrer …« Er stockte, wurde sich der Problematik seiner Frage bewusst, sprach dann schnell weiter, »einen Bekannten Ihrer Schwester.«
»Markus Böhmer?«
Braig griff nach einem Kugelschreiber, notierte sich den Namen. »Markus Böhmer«, wiederholte er, um sich zu vergewissern, dass er richtig verstanden hatte, »wissen Sie zufällig auch seine Adresse und die Telefonnummer?«
Rebekka Bangler zögerte etwas. »Die Straße kann ich Ihnen nicht nennen, obwohl ich bei ihm schon wunderschöne Stunden verbracht habe.«
»Wunderschöne Stunden?« Braig wurde sich der Indiskretion seiner Frage erst klar, als es zu spät war. Er wollte schnell eine weitere Bemerkung anfügen, wurde aber von ihrer Antwort daran gehindert.
»Die Wohnung liegt im obersten Stockwerk direkt unter dem Dach, so viel weiß ich noch. Die Aussicht aus seinem Dachfenster ist unglaublich.«
»Wo wohnt dieser Markus Böhmer?«
»In Welzheim«, erklärte sie, »ziemlich am Ortsrand.«
Braig überlegte immer noch, weshalb sie die gute Sicht und das Dachfenster so betont hatte, als sie ihm ohne weitere Fragen die Erklärung lieferte. »Christina war ein paar Mal bei Markus. Sie schauten stundenlang die Sterne an.«
Sein Schweigen machte ihr wohl klar, dass er ihre Aussage nicht verstand.
»Er hat ein großes Fernrohr. Die Sterne sind sein Hobby. Markus ist extra nach Welzheim gezogen, um sie besser beobachten zu können. Es liegt in den Bergen am Rand des Schwäbischen Waldes.«
Sprach sie wirklich von dem Markus, den ihre Schwester im Menschengewühl des Bahnhofs in Bad Cannstatt entdeckt hatte?
»Ihre Schwester kannte ihn gut?«
»Gut? Ich weiß es nicht. Markus hat nicht viel Kontakt, soweit ich weiß. Er beschäftigt sich lieber mit seinen Sternen.«
Ein menschenscheuer Sonderling, dachte Braig. Einer, der lieber in die Sterne starrt als sich mit Menschen zu beschäftigen. Ist das nicht geradezu der Prototyp des unberechenbaren Täters, der blitzschnell die Nerven verliert, sobald er in eine ihm ungewohnte, daher für ihn äußerst stressreiche Situation gerät? Oder hatte sich der Mann beim gemeinsamen Betrachten der Sterne in Christina Bangler verliebt, seine Gefühle aber nicht erwidert gesehen?
»Wie alt ist dieser Markus Böhmer?« fragte er.
»Wie Christina, schätze ich. Vielleicht etwas älter. Ich weiß es nicht genau. Ich glaube, sie lernten sich im Zug kennen. Irgendwann auf der Fahrt nach Stuttgart.«
»Einen anderen Markus kennen Sie nicht? Ich meine, aus dem Bekanntenkreis Ihrer Schwester?«
Rebekka Bangler überlegte. »Weshalb wollen Sie das wissen?«, fragte sie stattdessen.
Braig erklärte ihr den Ermittlungsstand.
»Christina war nicht mit Corinna zusammen?«
»Frau Fischer hatte einen Unfall. Er hinderte sie daran, in die Stadt zu kommen.«
»Aber wo war sie dann?«
»Genau das versuche ich ja herauszufinden«, antwortete Braig. Er entschuldigte sich, ihr nicht genauer Bescheid geben zu können, bedankte sich für ihre Auskunft. »Sobald ich Neuigkeiten habe, melde ich mich«, versprach er, verabschiedete sich dann.
Das Telefon gab einen schrillen Ton von sich, als ihm der Hörer ungeschickt neben den Apparat fiel. Braig bückte sich, korrigierte das Versehen. Er schaltete den Computer ein, suchte nach der Adresse Markus Böhmers in Welzheim. Der Name der Straße erschien samt Haus- und Handynummer sofort auf dem Bildschirm. Erst als der Drucker die Adresse ausspuckte, nahm Braig den Duft seines Kaffees wieder wahr.
Ein Sterngucker, überlegte er, das hatten wir noch nie. Durch ein Fernrohr in den Nachthimmel starren. Wie müssen Menschen beschaffen sein, um sich für dieses Hobby zu begeistern? Romantisch, altmodisch, etwas abseits der Realität?
Braig erinnerte sich daran, in seiner Kindheit während des Aufenthalts bei seiner Tante in einem kleinen Dorf ab und an in den nächtlichen Himmel geblickt und das Schauspiel Tausender
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