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Schwaben-Zorn

Titel: Schwaben-Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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ein großer Bruder, nicht wie ein überstrenger Vater zu uns. Das will etwas heißen für türkische Verhältnisse. Ich kenne ganz andere Beispiele aus unserem Verwandtenkreis.« Sie fuhr sich mit dem Taschentuch wieder übers Gesicht, beseitigte die letzten Spuren ihrer Tränen. »Dann musste Ayse sterben. Vorne auf der Stuttgarter Straße. Es war schrecklich für uns alle. Aber meinen Vater traf es, glaube ich, am meisten. Er verlor jeden Spaß am Leben, wurde in kurzer Zeit zu einem alten Mann. Haben Sie seine Haare gesehen?«
    Sie blickte zu Braig hinüber, sah, wie der Kommissar mit dem Kopf nickte. »Grau. Ein alter, grauhaariger Mann.« Sie griff nach ihrer Tasse, trank von dem Tee. »Bis vor zwei Jahren waren seine Haare schwarz, rabenschwarz sagt man im Deutschen. Ich weiß nicht mehr, wie lange es dauerte: Aber wenige Wochen nach Ayses Tod hatten sie jede Farbe verloren. Er war plötzlich grau. Wie heute.«
    Draußen im Hur waren Geräusche zu hören. Die Wohnungstür schlug, dann war Ruhe.
    »Jetzt wissen Sie, warum ich noch hier wohne. Ich wollte ihm wenigstens seine andere Tochter lassen. Aber deshalb sind Sie nicht gekommen«, sagte die junge Frau, »ich nehme an, Sie wollten mich unter vier Augen sprechen.« Sie zeigte zur Tür. »Sie können es tun. Er ist gegangen.«
    Neundorf nickte. »Es geht um Lorenz Meyer.«
    »Lorenz?« Serpil Ince stellte ihre Tasse zurück, schüttelte überrascht den Kopf. »Weshalb?«
    »Sie sind miteinander befreundet.«
    Der Gesichtsausdruck der jungen Frau veränderte sich schlagartig, sie starrte unkonzentriert in die Ferne. »Ich weiß nicht, ob man das so formulieren kann.«
    »Aber Sie haben Kontakt zueinander.«
    Serpil Ince schien zu träumen, nickte nach kurzem Überlegen mit dem Kopf.
    »Wann haben Sie ihn zuletzt gesehen?«, fragte Braig.
    Seine Stimme schien sie aufgeschreckt zu haben. Mit großen Augen blickte sie über den Tisch. »Diese Woche«, antwortete sie dann, »am, Moment«, sie dachte darüber nach, »am Montag.«
    »Um wie viel Uhr?«
    »Spät, sehr spät. Ich wollte gerade ins Bett.«
    »Können Sie sich noch genauer daran erinnern?«, fragte Neundorf. »Es ist wichtig für uns.«
    »Viertel nach zehn«, erklärte sie. »Jetzt weiß ich es wieder. Ich hatte den Fernseher laufen. Als er ins Wohnzimmer trat, war es 22.15 Uhr. Südwest Aktuell, die Nachrichten begannen gerade.«
    »Sie wissen das ganz genau?«
    »Ja, natürlich. Es war Zufall, aber gerade in dem Moment betrat er die Wohnung.«
    »Sie waren allein?«
    Serpil Ince nickte. »Lorenz wusste, dass meine Mutter in der Türkei ist und Vater Nachtschicht arbeitet. Er rief mich an, erklärte, dass er vorbeikomme.«
    »Wann rief er an?«
    »Kurz vorher. Vielleicht fünfzehn, zwanzig Minuten.«
    Braig warf Neundorf einen kurzen Blick zu, fragte dann nach der Stimmung, in der sich Meyer bei seinem Anruf befunden hatte.
    »Seine Stimmung?« Die junge Frau hatte Schwierigkeiten, die Intention seiner Frage zu verstehen.
    »Als er sie anrief, wie klang er da? Anders als sonst?«
    Serpil Ince schüttelte den Kopf. »Normal«, sagte sie, »wie immer.«
    »Aufgeregt? Außer Atem?«
    »Außer Atem?« Sie überlegte, schüttelte den Kopf. »Nein, das wäre mir sicher aufgefallen.«
    »Oder besorgt? Irgendwie hektisch, in Eile?«
    Die junge Frau betrachtete ihre Gesprächspartner der Reihe nach, schüttelte wieder ihren Kopf. »Es tut mir Leid, aber ich kann dazu nichts sagen. Er klang wie immer, ganz normal.«
    »Wie war er dann, als er zu Ihnen kam? Ist Ihnen da etwas aufgefallen?«
    Braig trank den Rest seiner Tasse leer, nahm sich von dem Gebäck. Es war klebrig, schmeckte sehr süß, wie mit Honig gefüllter Teig. Er betrachtete die junge Frau, sah, wie sie mit sich rang, um ihnen korrekte Antworten geben zu können.
    »Er war wie immer. Ich kann Ihnen nichts anderes sagen. Mir ist nichts aufgefallen.«
    »Er erwähnte«, Neundorf unterbrach sich kurz, »Verzeihung, aber ich muss die Frage stellen, er erwähnte auch nicht eine andere Frau?«
    Serpil Ince atmete tief durch. Es klang eher nach einem Seufzer als nach normalem Atemholen. »Na ja, ich weiß inzwischen, dass ich nicht die Einzige bin.« Sie schwieg, schaute auf einen imaginären Punkt an der Wand. »Ich habe lange gebraucht, bis ich es begriffen habe.«
    »An dem Abend«, sagte Neundorf, »es geht um den Montagabend.«
    »Nein, nichts Besonders. Er erwähnte keine andere Frau. Er war wie immer.«
    Braig sah die Enttäuschung im Gesicht

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