Schwaben-Zorn
unnatürlichen Röte überzogen.
Er schaute seine Kollegin fragend an, sah ihr aufgeregtes Winken. »Ich melde mich wieder, wenn ich Neues weiß, Mama, ja?«
Er wartete nicht auf ihre Antwort, legte den Hörer auf. Neundorfs Zustand schien Besorgnis erregend.
»Scheiße«, presste Neundorf hervor, »totale Scheiße.« Sie lehnte am Türrahmen, stöhnte laut vor sich hin.
Braig erhob sich, blieb stehen, starrte sie an. »Irgendwas mit Meyer?»
Sie schüttelte den Kopf. »Mit Meyer? Nein. Ich glaube, der ist endgültig aus dem Spiel. Durch unser Alibi, sozusagen.«
Sie löste sich vom Türrahmen, kam langsam näher. »Du bist müde, willst nach Hause, ja?«
Er nickte, wartete auf eine Erklärung.
»Vergiss es. Wir haben einen neuen Mord. Wieder eine junge Frau. Erwürgt und entstellt. Genau wie in Waiblingen.«
Braig spürte, wie ihm übel wurde, er begann am ganzen Körper zu zittern. Er klammerte sich an seinem Schreibtisch fest, hatte Mühe, Neundorfs Aufforderung zu verstehen.
»Die Kollegen warten auf uns. In Ludwigsburg.«
24. Kapitel
Die Diskette war leer. So sehr sie sich bemühte, irgendeinen Text, eine Grafik oder ein Bild auf den Monitor zu zaubern, sie hatte keinen Erfolg. Der Datenträger, den sie im Bahnhof abgeholt, für den sie ihr Leben riskiert, der sie der Verfolgung durch einen der widerlichsten Menschen, dem sie je begegnet war, ausgesetzt hatte, war nicht beschriftet. Annähernd zwei Stunden hatte sie es versucht, hatte alle Kniffe eingesetzt, die ihr nach jahrelanger Arbeit mit Computern vertraut waren, hatte alle Kombinationen durchgespielt, die auch in scheinbar hoffnungslosen Fällen immer dazu geführt hatten, den Inhalt einer Diskette freizulegen – nichts.
Lisa Neumann saß kopfschüttelnd vor der Tastatur, starrte ungläubig auf den leeren Bildschirm. Sie konnte es nicht glauben, wollte sich nicht damit abfinden. Was um alles in der Welt hatte der leere Datenträger zu bedeuten?
Sie starrte auf den Monitor, zermarterte ihr Hirn. Sie merkte, wie es langsam dunkel wurde, das Zimmer nur noch vom Widerschein des Bildschirms erhellt war, spürte die Kraftlosigkeit und den Hunger, die sie mehr und mehr zu lähmen drohten. Doch je länger sie darüber sinnierte, je intensiver sie sich damit auseinander setzte, desto deutlicher wurde ihr, dass es nur eine Antwort geben konnte, eine Antwort, die so ungeheuerlich war, dass sie einfach nicht wahr sein konnte.
Das Bewusstsein, dass die einzige Lösung des seltsamen Sachverhalts in einer unglaublich rücksichtslosen Intrige zu suchen war, die allein auf ihren scheinbar so uneigennützigen, freundlichen Gastgeber zurückging, hatte sie in den späten Abendstunden so sehr durchdrungen, dass sie sich nicht mehr länger zurückhalten konnte.
Sie nahm das Telefon, wählte die für den Notfall gedachte Nummer, hatte ihn sofort am Apparat.
»Du wunderst dich nicht, dass die Diskette nicht in deiner Post war?«, schrie sie in den Hörer.
Seine Antwort drang nicht zu ihr durch.
»Sie ist leer. Kannst du mir das erklären? Aber komm mir nicht mit dem Märchen von einem Versehen oder einem unbeabsichtigten Irrtum!«
Er brachte irgendwelche Ausflüchte, erwähnte angebliche Tricks, die den Zugriff auf die Daten verhinderten.
»Lüg mich nicht an! Ich arbeite seit mehr als zehn Jahren mit Computern, ich weiß, wie man Inhalte unzugänglich macht. Diese Diskette ist leer, verstehst du?«
»Warum regst du dich auf?«, antwortete Gronau. »Und wieso spionierst du in meinen Unterlagen herum?«
»Wieso?« Sie konnte nicht mehr an sich halten, platzte schier vor Wut. Sie berichtete, was geschehen war, welches Wunder sich ereignet hatte, sodass sie überhaupt noch lebte.
Gronau verstummte, sagte kein Wort mehr, hörte ihr zu. Erst als sie alles erzählt hatte und vor physischer und psychischer Erschöpfung weinend verstummte, stammelte er seine Entschuldigung. »Mein Gott, du musst mir verzeihen. Das wollte ich nicht, wirklich nicht. Sie fühlen sich bedroht, weil ich einigen zu nahe gekommen bin. Ich komme, so schnell ich kann. Morgen bin ich zurück, ich verspreche es.«
25. Kapitel
Die Wilhelmstraße in Ludwigsburg lag wie der gesamte Landstrich unter einer dichten Nebeldecke. Nur andeutungsweise waren auf beiden Seiten Hausfassaden zu erahnen. Straßenlaternen und Autoscheinwerfer drangen kaum durch die milchige Suppe, bildeten nur kleine helle Punkte in der schemenhaften Umgebung.
Braig und Neundorf bemerkten erst am blinkenden Blaulicht
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