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Schwaben-Zorn

Titel: Schwaben-Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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schon wieder?
    Die Stimme war ihm zur Genüge bekannt.
    »Du bist tatsächlich noch im Büro?«
    Er hatte seine Mutter schon unzählige Male gebeten, ihn nicht im Amt, sondern zu Hause anzurufen, es sei denn, es handele sich um einen Notfall; war mit diesem Wunsch wie mit so vielem anderen bei ihr aber auf beharrliche Ignoranz gestoßen.
    Was sie sich einmal angewöhnt hatte, wurde zum mütterlichen Gewohnheitsrecht.
    »Das hat mein Beruf so an sich, Mama«, seufzte er.
    »Du hast ihn dir selbst gewählt.«
    »Ja, ich weiß. Freiwillig. Ohne Zwang von deiner Seite.«
    »Ich hoffe, du weißt das zu schätzen.«
    »Unbedingt, Mama.« Er sah auf, weil Neundorf ihm winkte, nickte ihr zu. Sie wies mit der Hand nach unten, gab zu verstehen, dass sie sich um Meyers Entlassung kümmern wollte.
    »… erwischt?«
    Er hatte die Frage seiner Mutter nur bruchstückhaft wahrgenommen. »Wen erwischt?«
    »Von was rede ich denn? Diese bayerischen Verbrecher natürlich.«
    Er versuchte fieberhaft zu erinnern, von was sie sprach, blies erschöpft die Luft von sich.
    »Du brauchst nicht so angestrengt zu tun«, schimpfte sie. »Ihr seid also genauso unfähig wie diese Lederhosen-Jodler.«
    Braig wunderte sich über den Ausdruck, wusste plötzlich wieder, um was es ihr ging. »Wo hast du die respektlose Bezeichnung her?«
    »Respektlos? Frau Dr. Ohlrogge nennt sie so: deine unfähigen Kollegen in Bayern.«
    »Wenn alle Polizisten so unfähig wären, wie du behauptest, wären die Straßen voll mit Räubern und Mördern.«
    »Sind sie das etwa nicht? Wo bin ich denn heute noch sicher?«
    Er seufzte laut, spürte den Hunger und seine zunehmende Erschöpfung. Auf alles hatte er jetzt Lust, nur nicht darauf, sich am Telefon in sinnlose Geplänkel zu stürzen. Er kannte seine Mutter, wusste, wo Gespräche dieser Art endeten. Sie war – aus welchen Gründen auch immer – gereizt, suchte nach einem Opfer, an dem sie ihren Frust auslassen konnte. »Was ist mit eurer Tournee?«, fragte er, um sie abzulenken. »Wo findet der nächste Vortrag statt?«
    »Vortrag? Wo kann man heute noch einen Vortrag halten, ohne von Verbrechern überfallen zu werden?«
    »Mein Gott, noch seid ihr am Leben, du und deine Frau Doktor.«
    »Ihr habt sie also auch nicht festnehmen können. Hast du dich überhaupt darum bemüht?«
    Braig hatte sich schon fast entschlossen, ihr wahrheitsgemäß zu antworten, als ihm klar wurde, was das für die Stimmung seiner Mutter und die Beziehung zu ihr – zumindest für die nächsten Wochen – fast unausweichlich bedeuten würde. »Ich habe versucht, die Ermittlungen an mich zu ziehen«, flunkerte er, »aber die bayerischen Kollegen waren dagegen. Sie stehen kurz vor der Aufklärung mehrerer Überfälle, erklärten sie. Ihr wart nicht die einzigen Opfer.«
    Am anderen Ende der Leitung blieb es ruhig. Anscheinend hatte ihr seine Antwort die Sprache verschlagen. Braig nutzte den seltenen Moment, versuchte, seine Argumentation zu vertiefen. »Es kann allerdings noch ein paar Tage dauern, bis sie endgültig Bescheid wissen. Ich denke, sie sind sich längst darüber klar, um wen es sich bei den Tätern handelt, wollen sie aber auf frischer Tat ertappen.«
    »Das heißt, die warten ab, bis andere Leute überfallen werden und anschließend greifen sie erst ein? Und wenn die Verbrecher diesmal ihre Opfer töten?«
    Braig legte seinen Kopf in die geöffnete Hand, stützte sich mit dem Ellbogen auf seinen Schreibtisch. Er hatte keine Nerven, auch keine Kraft mehr, sich noch länger auf seine Mutter einzulassen. Der Mord an Christina Bangler war nach wie vor ungeklärt, die bestialische Entstellung ihres Körpers vollkommen ungelöst. Nichts, überhaupt nichts hatte er in Bezug auf eine Lösung des Falles anzubieten. Weder Bangler noch Böhmer noch Meyer waren überführt. Alles nur vage, unbeweisbare Verdachtsmomente. Wenn es so weiterlief, würde die Staatsanwaltschaft bald die Geduld verlieren und nach einem besseren Ermittlungskonzept fragen.
    »… Fühlt ihr euch wohl dabei?«
    Er hatte die Worte seiner Mutter fast vollständig überhört, nur den letzten Satz verstanden. »Wobei?«
    »Frag nicht so dumm!«, wetterte sie. »Die Polizei schaut zu, wie Unschuldige von Verbrechern überfallen werden. Oder ist das nur in Bayern so üblich?«
    Braig hörte die Geräusche hinter sich, sah hoch. Neundorf stand in der offenen Tür, seltsam aufgeregt, das Gesicht einerseits unübersehbar von Erschöpfung gezeichnet, andererseits von einer

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