Schwaben-Zorn
nicht verhindern können, dass die junge Frau hemmungslos zu weinen begann und sich Tränen überströmt vor ihnen zurückzog, unfähig, ihnen auch nur die einfachsten Fragen zu beantworten. Den wenigen Worten zufolge, die sie als verständliche Aussagen präsentierte, arbeitete Frau Rommel in einer Buchhandlung in der Innenstadt von Ludwigsburg. An diesem Abend hatte sie einen kleinen Einkaufsbummel geplant, wahrscheinlich, um für Raffaela Mais Geburtstag am Wochenende noch Geschenke zu besorgen. Ihre Eltern, Kurt und Margarethe Rommel, wohnten in Crailsheim, sie hatten zwei weitere Töchter, Ines und Caroline, die noch zu Hause lebten. Mit dem Namen Markus Böhmer wusste Frau Mai nichts anzufangen, sie konnte sich nicht erinnern, ihn jemals – auch nicht von Karen Rommel – gehört zu haben. Eine bedeutende Rolle im Leben der Ermordeten konnte er auf jeden Fall nicht gespielt haben, soviel war klar.
Mehr war von Raffaela Mai nicht zu erfahren; ihre Verfassung hatte sich im Verlauf des Abends so verschlechtert, dass Neundorf eine ältere Nachbarin, die mit den beiden jungen Frauen befreundet war, beauftragt hatte, nach ihr zu schauen und sie in der Nacht unter ihre Fittiche zu nehmen. Erst gegen elf hatten sie die Wohnung verlassen, um im Amt die Fahndung nach dem flüchtigen Sterngucker zu intensivieren und die Crailsheimer Kollegen darum zu bitten, die Eltern Karen Rommels über den Tod ihrer Tochter zu informieren – ob noch in der Nacht oder aus Pietät erst am Morgen, blieb den Beamten vor Ort überlassen.
Braig versuchte, seine beruflichen Probleme zu vergessen, um endlich Schlaf zu finden. Er drehte sich zur Seite, sah die undurchdringliche Nebelbank vor dem Fenster. Nicht einmal die Fassaden der gegenüber gelegenen Häuser waren zu erkennen. Er gähnte kräftig und fiel in einen tiefen Schlaf.
* * *
Nach dem viel zu frühen Läuten des Weckers gönnte er sich eine kurze Dusche und ein bescheidenes Frühstück, trat dann kurz nach halb acht auf die überraschend nebelfreie Straße. Ein kräftiger Wind wehte, die Luft war deutlich wärmer als an den Tagen zuvor. War das ein gutes Omen? Lichteten sich jetzt die Nebel nicht nur in den Straßen, sondern auch in seinen mühsamen, bisher völlig ergebnislosen Ermittlungen?
Kurz vor acht hatte er das Amt erreicht. Auf seinem Schreibtisch lag der schriftliche Bescheid des Untersuchungsrichters zur Durchsuchung der Wohnung Marion Böhmers in Crailsheim. Braig wählte die Nummer der Kriminaltechniker, bat um die Begleitung zweier Kollegen. Er überflog die in den vergangenen Stunden eingegangenen Informationen, erkundigte sich dann im Diakonissenkrankenhaus nach dem Zustand Ann-Katrins. Die Schwester am Apparat war in großer Eile, teilte ihm aber mit, dass seine Freundin im Verlauf des Morgens in einen anderen Raum verlegt werden sollte. Braig bedankte sich für die Auskunft, hörte das Klopfen an der Tür. Neundorf trat in sein Büro.
»Ausgeschlafen?«
Er nickte freundlich, begrüßte sie. »Der Nebel ist verschwunden. Vielleicht finden auch wir jetzt endlich den richtigen Durchblick.«
»Ich fürchte, das wird nicht so einfach«, sagte sie. »Von Böhmer gibt es immer noch keine Spur. Die Wohnungsdurchsuchung in Crailsheim klappt?«
Braig nickte, reichte ihr den Bescheid. »Ich bin bereit. Hutzenlaub und Rauleder kommen mit. Sie melden sich, wenn sie soweit sind.« Er zeigte zum Telefon, wurde von dessen Läuten überrascht. »Na, wer sagt’s denn?«
Braig nahm ab und wunderte sich über eine fremde Stimme.
»Nicola Bursac«, meldete sich der Mann, »ich bin Kollege vom Ludwigsburger Kommissariat. Wenn ich mich richtig erinnere, hatten wir letztes Jahr miteinander zu tun. Es ging um eine Beate Berg. Sie wollten über ihren Selbstmord Bescheid wissen.«
Braig wusste sofort, wovon der Mann sprach. Bei ihren Ermittlungen nach einem Serienmörder, der mehrere Männer mit Blausäure vergiftet hatte, waren sie durch den in einer Kirche gefundenen Kugelschreiber auf die Wohnung einer Ludwigsburger Paketzustellerin gestoßen, die Tage zuvor bereits Suizid begangen hatte.
»Ja, ich erinnere mich«, sagte er, »es ging um die Giftmorde letzten Sommer. Es waren mühsame Ermittlungen. Womit kann ich Ihnen helfen?«
Bursac lachte. »Wir brauchen keine Hilfe. Im Moment jedenfalls nicht. Aber ich glaube, ich habe eine wichtige Information für Sie.«
»Für uns?«
»Ja«, sagte Bursac. »Es geht um den Fall Rommel.«
Braig spitzte die Ohren, winkte
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