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Schwaben-Zorn

Titel: Schwaben-Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klaus Wanninger
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verfolgten, wie dort das Porträt des Mannes langsam aber stetig immer lebensechter entstand.

27. Kapitel
    Wochen später noch dachte Braig an diesen Freitagvormittag im November zurück, an dem plötzlich der seit Wochen schwer auf dem ganzen Land lastende dichte Nebel verschwunden war und sich gleichzeitig der seit Tagen vergeblich erhoffte Ermittlungserfolg – wieder einmal durch einen puren Zufall – einzustellen schien.
    Daniel Schiek hatte keine dreißig Minuten gebraucht, auf dem Bildschirm ein – wie Traudl Haiges urteilte – verblüffend lebensecht wirkendes Porträt zu zaubern, das den Mann darstellte, den sie am Abend zuvor in unmittelbarer Nähe Karen Rommels gesehen hatte.
    »Er ist es, hundertprozentig«, beteuerte die Buchhändlerin, »genau so habe ich ihn in Erinnerung.«
    Der Mann hatte kurze, dunkle Haare, eine lang gezogene, leicht schiefe Nase, breite Lippen, ein schmales, mit einem kleinen Spitzbart geschmücktes Kinn. Vom Alter her schien er um die Dreißig.
    »Markus Böhmer?«, fragte Neundorf.
    Braig schüttelte den Kopf. »Die beiden sind sich so ähnlich wie ein Affe und ein Kamel.«
    Seit 10.20 Uhr an diesem Morgen wurde nach dem unbekannten Mann gefahndet. Braig und Neundorf bedankten sich bei Daniel Schiek für seine Hilfe, begleiteten Traudl Haiges ins Büro des Kommissars. Sie war von ihrem Chef für den Morgen freigestellt worden.
    »Wenn der Mann bei Ihnen im Laden war«, überlegte Braig, »müsste er dann nicht irgendwo in der Nähe wohnen oder arbeiten?«
    »Das ist möglich, ja. Es sei denn …«
    »Ja?«
    »Er wohnt außerhalb und kommt nur zum Einkaufen oder Bummeln nach Ludwigsburg.«
    Braig nickte. »Was ist mit Ihren Kolleginnen? Könnte es sein, dass sie den Mann erkennen, wenn sie sein Bild sehen?«
    »Ich weiß es nicht. Vielleicht.«
    »Wir müssen es versuchen«, sagte Neundorf, »wir zeigen ihnen das Bild. Zuerst Ihren Kolleginnen, dann den Leuten in der Umgebung der Buchhandlung. Wenn der Mann bei Ihnen gekauft hat, war er vielleicht auch in einem Laden in der Nähe. Oder in mehreren. Wir nehmen uns die Straßen rund um den Arsenalplatz vor. Wir klappern alle ab. Das ist mühsam, aber der schnellste Weg. Vielleicht haben wir Glück.«
    Braig stimmte dem Vorschlag seiner Kollegin zu. Er benachrichtigte Daniel Schiek, bat ihn, schnellstmöglich einhundert großformatige Ausdrucke zu erstellen, forderte bei seinen Kollegen Verstärkung an. Anja Wintterlin und Michael Felsentretter waren sofort bereit, ihnen bei der Befragung zu helfen.
    »Wir benötigen einen Stadtplan«, erklärte Neundorf, »ich sehe mich im Internet um.« Sie ging an Braigs Computer, ließ einen Plan des Ludwigsburger Zentrums ausdrucken. »Wo sollten wir uns besonders aufmerksam umsehen?«, fragte sie.
    Traudl Haiges betrachtete die Skizze. »Die Geschäfte und Banken in der Myliusstraße«, erklärte sie, »vielleicht kam er vom Bahnhof her, dann nahm er diesen Weg. Auf jeden Fall in der Wilhelm- und der Körnerstraße, rund um den Marktplatz und natürlich in der Fußgängerzone in der Seestraße. In diesem Areal liegen die meisten Läden. Wenn ihn dort niemand kennt …« Sie zuckte mit der Schulter.
    »Wir versuchen es«, sagte Neundorf, »wenn wir bis heute Nachmittag keinen Erfolg haben, müssen wir darauf hoffen, dass ihn irgendjemand in den Medien erkennt. Vor heute Abend schauen wohl nur die Wenigsten Fernsehen, aber dann …« Sie kopierte den Stadtplan, verteilte ihn an die Kollegen, sprach sich mit ihnen ab, wie sie sich aufteilen sollten.
    Zwanzig Minuten vor zwölf waren sie zum zweiten Mal an diesem Tag nach Ludwigsburg unterwegs.

28. Kapitel
    Ludwigsburg und seine Einwohner standen im Schwäbischen schon immer in dem Ruf, das Leben leichter zu nehmen als seine Nachbarn – kein besonders wohlmeinendes Urteil in einem Land, das Jahrhunderte lang unter dem Diktat lebensverneinender Strenge engstirnig-sündenbewusster Pietisten gelitten hatte. Herzog Eberhard Ludwig hatte dem sonst so nüchtern-introvertierten Schwaben mit der Gründung der Stadt und dem Bau des Schlosses und den dort unablässig inszenierten pompösen Festivitäten zu Beginn des 18. Jahrhunderts ein Flair barocker Weitläufigkeit vermittelt, das erst knapp hundert Jahre später mit dem Umzug der Residenz ins benachbarte Stuttgart wieder schwäbisch-evangelisch-bescheidenerer Lebensart Platz machen sollte. Erhalten blieb das einzigartig prunkvolle Geflecht dreier in verschwenderischer Pracht ausgeführter

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