Schwaben-Zorn
Neundorf, einen Moment zu warten. »Rommel?«, fragte er laut.
»Karen Rommel. Sie wurde gestern Abend ermordet.«
»Wir arbeiten daran, ja. Und tappen leider noch im Dunkeln.«
»Warten Sie ab«, fiel ihm Bursac ins Wort, »wir haben eine wichtige Neuigkeit, was diese Sache betrifft.«
Braig schaute überrascht auf, sah Neundorf die Anordnung des Richters studieren. Er wedelte mit den Armen, um ihre Aufmerksamkeit zu erlangen, schaltete auf Zimmerlautstärke um. »Ich höre«, sagte er.
»Wir haben hier den Anruf einer Frau Haiges. Sie ist Buchhändlerin. Frau Haiges arbeitete früher mit Karen Rommel zusammen, trifft sich noch gelegentlich mit ihr. Sie kennt sie also gut. Und jetzt der entscheidende Punkt: Sie sah Frau Rommel gestern Abend kurz nach zwanzig Uhr auf dem Arsenalparkplatz. Mit einem Mann.«
»Mit einem Mann?«, rief Braig.
»Ja. Sie sagt, der Mann stand direkt hinter Frau Rommel.«
»Und?«
»Sie kennt diesen Mann.«
»Sie kennt ihn?« Braig sprang von seinem Schreibtisch weg, riss den Telefonapparat zur Seite. »Wo ist die Frau? Können wir sie sprechen?«
»Selbstverständlich. Sie arbeitet bei der Buchhandlung Aigner in der Arsenalstraße. Ich erklärte ihr am Telefon, dass jemand von uns in der nächsten halben Stunde bei ihr im Laden vorbeischauen wird. Wollen Sie die Sache übernehmen?«
Braig brauchte nicht zu überlegen. »Wir brechen sofort auf«, sagte er, »ich bedanke mich für die Information.« Er verabschiedete sich von dem Kollegen, sah Neundorfs erwartungsvolle Miene.
»Endlich scheint sich was zu tun«, sagte sie.
Braig nickte, spürte seine Unruhe. Er nahm sein Handy, dazu das Notizbuch samt Stift, drängte seine Kollegin aus dem Büro.
»Willst du nicht Hutzenlaub und Rauleder benachrichtigen?«, fragte sie. »Wir verschieben Crailsheim vorerst, oder?«
»Zuerst fahren wir nach Ludwigsburg«, stimmte er ihr zu. »Ich verständige die beiden per Handy.«
Sie eilten zur Tiefgarage, holten ihr Dienstfahrzeug, nahmen den schnellsten Weg in die Barockstadt. Der Nebel war vollständig verschwunden, einzelne Wolken huschten über den von einer noch kaum dem Horizont entstiegenen Sonne nur fahl beleuchteten Himmel. Windböen peitschten das letzte Laub des zu Ende gehenden Herbstes durch die Luft.
Sie kamen von Süden her in die Stadt, passierten das moderne Gebäude des Forums, erreichten die Ausläufer des weitläufigen Schlossparks. Als sie in die Wilhelmstraße einbogen, setzte schlagartig ein kräftiger Regen ein. Braig starrte zum Himmel, konnte nur eine kleine unscheinbare Wolke erkennen. Sie fuhren am Rathaus vorbei, bogen in die Arsenalstraße und den gleichnamigen Parkplatz ein. Der Himmel hatte seine Schleusen immer noch geöffnet; bis sie die Straße überquert und vor der Buchhandlung angelangt waren, fühlten sie sich einer zweiten morgendlichen Dusche entkommen.
Braig klopfte an die noch verschlossene Tür des Ladens, wischte sich über die Haare, versuchte, die Feuchtigkeit von sich abzuschütteln. Sie mussten nicht lange warten; eine auffallend hübsche, sehr jugendlich wirkende Frau mit blondem Haar, einem dezent geschminkten Gesicht und modischer, hellgelber Bluse eilte zum Eingang, öffnete.
»Wir suchen Frau Haiges«, sagte er, »mein Name ist Braig und das ist meine Kollegin Neundorf, wir kommen vom Landeskriminalamt und ermitteln im Fall Karen Rommel.«
Sie nickte, stellte sich als Traudl Haiges vor, ließ sie eintreten. »Ich dachte mir, dass Sie bald kommen«, erklärte sie, »hoffentlich hilft es Ihnen, Karens Mörder zu finden. Es ist so schrecklich, ich kann es noch gar nicht fassen.«
Sie gab einer ihrer Kolleginnen Bescheid, führte Braig und Neundorf in das ebenfalls mit Büchern ausgestattete, von urwüchsiger Fachwerkstruktur geprägte Obergeschoss. Der Raum strahlte eine behaglich-warmherzige Atmosphäre aus, die gar nicht zu der traurigen Angelegenheit passen wollte, deretwegen sie gekommen waren. Durch zwei dunkelbraune Sprossenfenster schauten sie direkt auf den Arsenalplatz. Die Buchhändlerin wies auf drei Stühle, bot ihnen Platz an. Sie war über den Tod ihrer Bekannten sichtlich erschüttert, sprudelte sofort ihr Wissen aus sich heraus.
»Heute Morgen habe ich von dem schrecklichen Geschehen erfahren«, sagte sie, »ich kann es noch nicht glauben, es darf einfach nicht wahr sein. Hätte ich gestern geahnt, in welcher Gefahr sie sich befindet, ich wäre …« Sie verstummte, schluckte, wusste nicht, wie sie fortfahren
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