Schwach vor Sehnsucht
Smoking betonte Joshuas breite Schultern und schmale Hüften, und das an den Schläfen grau melierte Haar ließ ihn noch distinguierter aussehen. Er schien jedoch niemals zu bemerken, wie attraktiv ihn die Frauen fanden. Kein Wunder, mit einer Geliebten wie Angela Hailey!
“Du siehst wundervoll aus.” Tina begrüßte Joanna herzlich und zog sie ins Wohnzimmer.
Joshua blieb zurück, um mit Patrick zu reden. “Männer! Bestimmt sprechen sie wieder über ihre Arbeit.”
Joanna nickte. Sie wünschte, dieser Abend wäre vorbei, damit sie den Rest ihres Lebens planen konnte.
“Und dabei haben sie doch heute wirklich schon lange genug zusammengesessen.”
Jetzt runzelte Joanna die Stirn. Sie hatte nicht einmal gewusst, dass Joshua an diesem Tag eine Besprechung mit Patrick gehabt hatte. Joshua erzählte ihr nur noch selten etwas, und an diesem Abend hatte er auf der Fahrt hierher so gut wie nichts gesagt.
“Lasst ihr mich eine Party für euch geben?”
Joanna blickte ihre Freundin verständnislos an. “Wie bitte?”
“Ich würde dir und Joshua gern eine Party geben.”
“Das ist nett”, erwiderte Joanna steif. Hatte sie irgendetwas nicht mitbekommen? Warum, in aller Welt, wollte Tina …?
“Wann reist ihr ab?”
“Ich …” Joanna hatte die Angewohnheit, vor sich hin zu träumen, während Leute mit ihr sprachen, sie hätte jedoch schwören können, dass sie es diesmal nicht getan hatte. Trotzdem hatte sie keine Ahnung, wovon Tina redete!
“Alle Einzelheiten habt ihr wohl nicht geklärt. Aber es ist so aufregend, stimmt’s?”
“Ja …” Joanna sah sich in dem überfüllten Zimmer nach Joshua um. Er wusste sicher, worum es bei diesem Gespräch ging.
“Bist du schon einmal in Amerika gewesen? Natürlich”, beantwortete Tina ihre Frage selbst.
“Du bist ja mehrere Wochen in Florida gewesen, bevor du Joshua geheiratet hast. Patrick fliegt nicht gern, deshalb werden wir wohl niemals dort Urlaub machen.” Tina verzog das Gesicht. “Und du darfst ein ganzes Jahr lang durch die Staaten reisen! Außerdem werdet ihr sicher in den besten Hotels wohnen.”
Plötzlich wurde Joanna klar, wovon ihre Freundin redete. Vor einigen Monaten war Joshua angeboten worden, an verschiedenen medizinischen Fakultäten in den Vereinigten Staaten Vorlesungen zu halten. Er hatte die Sache erst einmal zurückgestellt. Hatte er etwa beschlossen zu fahren, ohne mit ihr darüber zu sprechen?
Joanna entdeckte ihn auf der anderen Seite des Zimmers. Er unterhielt sich mit dem Herzspezialisten Simon Shield, einem Mann Ende fünfzig. Wenn sie mit diesen Leuten zusammen waren, wurde ihr immer besonders bewusst, dass Joshua hier ein völlig anderer war als vor fünf Jahren in Kanada. Der Londoner Facharzt Joshua Radcliffe konnte sich natürlich alles anmaßen! Und von ihr als seiner Frau wurde selbstverständlich erwartet, dass sie mit allen seinen Entscheidungen einverstanden war.
Sie presste verärgert die Lippen zusammen. Er hatte immer die Führung übernommen, und sie hatte sich angepasst, aber die Zeiten waren vorbei. Sie wollte nicht für ein Jahr nach Amerika gehen. Sie würde es nicht tun. “Entschuldige mich”, sagte sie zu Tina. “Ich muss vor dem Essen noch kurz mit Joshua reden.”
“Nur zu. Wir unterhalten uns später weiter”, erwiderte ihre Freundin lächelnd.
Joanna ging zu Joshua und hakte ihn unter. Sie spürte, wie er erstarrte, als sie ihn berührte.
“Wie schön, dich wieder zu sehen, Simon! Wo ist Daphne?”
“Sie ist einige Tage bei ihrer Mutter. Ich konnte mich nicht losmachen.” Simon zuckte mit den Schultern. “Aber dir muss ich ja nicht erklären, wie beschäftigt Ärzte sind.”
“Nein, gewiss nicht”, sagte Joanna freundlich.
“Ihr beide habt das Problem ja bald nicht mehr! Ein ganzes Jahr Freiheit. Zweite Flitterwochen für euch.” Simon zwinkerte ihnen zu. “Faszinierendes Land, die Vereinigten Staaten.”
“Ja”, stimmte Joanna angespannt zu.
“Ich muss weiterziehen, damit ich alle Neuigkeiten erfahre.” Simon lächelte sie beide an.
“Daphne wird einen ausführlichen Bericht wollen.”
“Grüß deine Frau von mir”, sagte Joanna.
“Mach ich.” Er ging davon und begann, mit einem anderen Kollegen zu plaudern.
“Wann wolltest du es mir mitteilen?” fragte sie kühl.
Joshua zuckte mit den Schultern. “Wir hatten vereinbart, später zu reden. Dann hätte ich es dir gesagt. Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Sache so schnell bekannt wird.”
“Nein?
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