Schwach vor Sehnsucht
erweichte.
Aber Lindy war nicht zu Hause. Ihr Bett war leer, die Decke zurückgeschlagen, und ihr innig geliebtes weißes Stoffkaninchen lag einsam neben dem Kopfkissen.
Joanna weinte noch immer nicht. Sie blickte ihre trauernde Mutter an, als wäre Cora eine Fremde, und fragte sich, warum, in aller Welt, die Frau so verzweifelt weinte.
Den ganzen Tag gab sich Joanna der Täuschung hin, dass alles normal sei. Ihre Illusion blieb erhalten, bis sie an diesem Abend neben Joshua im Bett lag. Sie sah nicht die Tränen, die ihm übers Gesicht liefen, sie wusste nur, dass ihre gemeinsame Tochter tot war und er versuchte, mit ihr zu schlafen!
Sie ging auf ihn los, kratzte und schlug und überschüttete ihn mit Beleidigungen. Die ganze n angestauten Gefühle der vergangenen vier Jahre Ehe brachen hervor. Erst Joshuas Ohrfeige brachte sie zur Besinnung, und in diesem Moment wurde Lindys Tod eine Tatsache. Der Schmerz zerriss Joanna das Herz. Dann kamen die Tränen, und sie schluchzte hysterisch, bis die Nadel in ihren Arm drang und sie alles vergessen ließ.
Joshua war zurück in sein Schlafzimmer gezogen. Wochenlang hatte Joanna gramgebeugt in ihrem Bett gelegen, bevor sie allmählich begonnen hatte, der Welt wieder ins Auge zu sehen.
Während dieser schweren Zeit hatte sie Joshua aus ihrem Leben verdrängt, als wären sie niemals verheiratet gewesen. Die Ehe war nur Lindys wegen geschlossen worden, und diese einzige Verbindung zwischen ihnen hatte aufgehört zu existieren.
Nachdem Joanna die ganze Vergangenheit noch einmal durchlebt hatte, wusste sie, dass sie nicht länger mit Joshua verheiratet bleiben konnte. Zwölf Monate lang waren sie distanziert und höflich gewesen. An diesem Abend hatten sie eine Grenze überschritten, und jetzt konnte die Sache nur noch ein einziges Ende haben.
Am nächsten Morgen wurde Joanna durch ein Geräusch geweckt. Sie öffnete die Augen und erwartete, das Dienstmädchen, zu sehen, aber es war Joshua, der das Teetablett auf den Nachttisch stellte.
“Du hast verschlafen”, sagte er kurz angebunden. “Es ist fast neun.”
Joanna setzte sich auf. “Wir wollten miteinander reden …”
Er nickte. “Jetzt wird es bis heute Abend warten müssen. Ich habe um neun meinen ersten Termin.”
Sie biss sich auf die Lippe. “Ist unser Gespräch nicht wichtiger?”
Joshua schob sich ungeduldig das Haar aus der Stirn. “Doch, natürlich, aber …”
“Vielleicht ist es überhaupt kein Termin. Kann deine Geliebte nicht einmal einige Stunden auf dich verzichten?” fragte Joanna verächtlich.
Er wurde rot vor Wut. “Du hast wohl kaum das Recht, dich wie eine eifersüchtige Ehefrau zu benehmen!”
“Du hast kein Recht, deine Affäre zur Schau zu stellen und ganz London zusehen zu lassen!”
brauste Joanna auf.
“Ganz London ist nicht interessiert”, spottete Joshua kühl. “Eine Affäre ist heutzutage alltäglich. Nein, unsere Schlafgewohnheiten würden die Leute viel mehr interessieren. Ich bin sicher, so eine Ehe wie wir führen nicht viele.”
“Du musst es ja wissen!” sagte Joanna scharf. “Deine Patientinnen erzählen dir doch all diese intimen Details.”
Er warf ihr einen empörten Blick zu. “Nicht immer. Und ich bin noch nie auf eine dreiundzwanzigjährige Frau getroffen, die nicht mit ihrem Ehemann schläft.”
Joanna zog nervös am Laken. “Deshalb möchte ich mit dir reden. Ich…”
“Jetzt habe ich wirklich keine Zeit.” Joshua sah ungeduldig auf seine Armbanduhr. “Wir reden heute Abend.”
“Wann?” fragte Joanna verbittert. “Während uns Mrs. Barnaby das Essen serviert? Oder wenn du um elf aus der Klinik kommst?”
Er presste die Lippen zusammen. “Hast du vergessen, dass wir bei Patrick und Tina eingeladen sind?”
Joanna hatte zu viel auf dem Herzen gehabt und nicht mehr daran gedacht, dass Patrick und Tina Mayor an diesem Abend eine Dinnerparty gaben. Patrick war der Arzt, der Lindy auf die Welt geholt hatte. Der Mann, der ihr hatte sagen müssen, wie krank ihre Tochter war. Er und seine Frau waren in den vergangenen fünf Jahren wirklich gute Freunde von Joshua und ihr geworden. Tina war nur fünf Jahre älter als sie, und sie beide standen sich sehr na he.
Trotzdem wollte sie an diesem Abend lieber zu Hause bleiben und mit Joshua über das Ende ihrer Ehe sprechen.
“Wir müssen hingehen”, sagte er, als hätte er ihre Gedanken erraten. “Ich habe gerade gestern zu Patrick gesagt, du würdest dich darauf freuen, Tina wieder zu sehen.
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