Schwätzen und Schlachten
aufgeräumt, er raffte sich zusammen, genau so machen wir es, das klingt nach einem vernünftigen Plan.
Im Übrigen, sagte Stanjic, er schickte sich an, wieder ins Auto zu steigen, hast du ja immer noch mich. Wenn dein Mosaik ein heilloses Chaos ergibt, weil du, gestört wie du bist, nicht in der Lage bist, mehr als lose Impressionen zu empfinden, steh ich dir mit einem astreinen, Feng-shui-technisch fein ausgepeilten hübschen Bild zur Seite und wiederum aus unserer beider Lösungsvorschlägen ergibt sich eine wasserfeste Konklusion.
Klingt super, sagte Sydow. Er wollte ins Bett, er war froh um jeden Vorschlag und um jeden Plan, er fand, das klang einfach toll. Er hatte schon begonnen, sich die paar Meter Straße bis zu seinem Haus hochzuschleppen, der Schal schlurfte hinter ihm drein und es begann, fein und säuberlich zu nieseln.
Frederik, rief Stanjic ihm nach, er richtete sich wieder auf, ihm fiel plötzlich etwas ein.
Sydow drehte sich um, sah den Schal und wickelte ihn um seinen Leib, ja?
Stanjic kam wieder ein paar Schritte in seine Richtung. Wer wohnt denn nun neben Simon, wer ist die Nachbarin, du hast doch vorhin, als du gekommen bist, gesagt, dass du bei der Nachbarin –
Katharina. Frederik von Sydow knotete den Schal fest. Katharina ist die Nachbarin.
Sie schauten sich an. Es regnete immer doller. Doller, dachte David Stanjic ohne jede Begeisterung, doller und knülle und ich bin alle. Hörst du das, Österreich.
Aber Österreich hörte es nicht. Österreich ist nie da, wenn man es braucht, auch so eine Charakterschwäche. Ich bin alle, dachte er, völlig knülle und es regnet immer doller. Aber das waren nur so halbherzige Manöver, um einer Tatsache, also Katharina, aus dem Weg zu gehen. Sie schauten sich an. Es gab nichts zu sagen. Ging ihnen etwa der Schneid aus?
Sydow nickte, Katharina, wiederholte er und dann, die Letzten werden die Ersten sein.
Wenn einem der Schneid ausgeht, schaltet das Prinzip Hoffnung und davon gibt es reichlich.
Es gab nichts zu sagen, aber wer zuletzt kommt, kommt auch an. David Stanjic ließ das Auto stehen und nahm sich ein Taxi nach Hause.
77. System ist alles
Stanjic überlegte in den folgenden Tagen, wie weiter.
Er fuhr mit Sydow zusammen die Sandwichs aus, auch ein Job, man lernt da die verschiedensten Menschen – ach egal. Was interessierten ihn die Menschen, was, dass sie alle verschieden waren. Er hatte genug damit zu tun, sich für sich selbst zu interessieren.
Sydow wiederum schwänzte seine Seminare, die Neue Deutsche Literatur , ließ er David Stanjic wissen, muss eine Zeit lang ohne mich klarkommen.
Sie scheint damit kein Problem zu haben, meinte Stanjic, während er im Schneckentempo die Straße entlangfuhr und seine Liste studierte.
Nein, gab Frederik zu, anscheinend nicht. Er nahm ihm die Liste aus der Hand und dirigierte ihn durch den Frühstücksverkehr.
Stanjic reichte ihm sein Handy, ruf mal die Auskunft an, der nächste freie Mitarbeiter wird sich um uns kümmern.
Sie hörten Grieg und er erläuterte Sydow, unterbrochen von seinen Kundenstopps, langwierig sein kompliziertes Innenleben.
Ich erforsche mich, hob er an, und ich merke, dass ich mal so und mal so bin, dass ich verliebt bin und wütend, dass es manchmal in meinem Kopf zugeht wie in einem kaputten Kaleidoskop, dass es dann anderntags wiederum ist, als hätte ein prima Fliesenleger mich prima gefliest.
Ach, sagte Sydow irritiert, er öffnete das Handschuhfach und wühlte in den zerknüllten Einwickelpapieren.
David Stanjic schaute in der letzten Zeit häufig in den Spiegel und merkte, dass sein Gesicht außerordentlichen Bewegungen unterworfen war, deren jeweiligen Ursprung er nicht immer zu benennen wusste.
Mein Gesicht ist, sagte er zu Frederik, wie der Ozean.
Sydow klappte das Fach zu, hast du einen elegischen Moment, fragte er misstrauisch. Ich kann nur hoffen, dass das nicht überhandnimmt.
Womöglich, sagte Stanjic, während er in eine Tankstelle einfuhr, womöglich sollte ich den Bart abnehmen.
Ach, sagte Sydow betroffen.
Ich denke derzeit über alles Mögliche nach, zum Beispiel über den Bart.
Ach, sagte Sydow. Dazu fiel ihm offen gestanden keinerlei Gefühlsregung mehr ein.
Der Bart, resümierte Stanjic, er stand in der offenen Tür und winkte einen Tankwart herbei. Er hatte Angst, beim Tanken alles falsch zu machen, mit dem Auto auf der falschen Seite stehen, das falsche Benzin ins falsche Loch orgeln, besser, diese Dinge dem Fachmann überlassen. Er
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