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Schwätzen und Schlachten

Schwätzen und Schlachten

Titel: Schwätzen und Schlachten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verena Roßbacher
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irgendein Kind schon mal alle erreichbaren Keksbehänge an.
    Nein, es war kein stilvoller Baum, aber er trug – einer eigensinnigen Auffassung Onkel Hinnes nach machte man das so – gebügeltes Lametta. Vermutlich war es nur geschuldet seiner panischen Angst, in ein Fünfminutenloch des Nichtstuns zu fallen, die ihn dazu bewegte, hingebungsvoll die bunten und verhedderten Streifen vom letzten Jahr aufzubügeln, jedenfalls hing das Lametta landauf landab nirgendwo strammer.
    Rotznase Rudolf war in der Zwischenzeit das meistgesungene Weihnachtslied, immer wacker intoniert von Tante Mary, die über gewisse Nuancen in der deutschen Sprache aufzuklären niemand für nötig befand. Sobald sie fröhlich anhub mit Rudolf die rotznasig Reintier fielen alle jauchzend ein.
    Wie immer war es saulaut und wahnsinnig familiär, herrlich, fand David Stanjic, er fands herrlich, ja geht so, sagte Sydow. Er hätte am frühen Nachmittag schon eine Kompresse gebraucht, jetzt war er reif für die Insel.
    Seine Oma war überall und nirgends, eher aber Ersteres.
    Sydow war sich sicher, würde er sich in einer Besenkammer, in einem alten Wandschrank verstecken, sie wäre innert Kürze auch dort, beorderte ihn in die Küche für Küchendienste, nach draußen in den Hof, dem unablässig fallenden Schnee mit einer Schippe Herr zu werden, oder in den zweiten Salon, um Onkel Jodok daran zu hindern, an den Hirschgeweihen an der Wand schon mal zu üben .
    Er, Sydow, hatte ein tropfendes Rohr mit Isolierband umwickelt, eine Dusche entstopft und die Habseligkeiten einer kleinen alten Dame ins lindgrüne Zimmer überführt.
    Das ist Tante Inge, sagte seine Oma, das ist die Schwester von dem Neffen meines –
    Meinetwegen, sagte er. Er hatte also die Habseligkeiten einer Tante Inge vom gelben ins blassgrüne Zimmer überführt, nachdem sie bekundet hatte, in dem gelben Zimmer kämen ihr so kriminelle Anwandlungen.
    Was für welche denn, hatte er gefragt.
    Zwicken zum Beispiel, sagte Tante Inge, sie hatte einen weißen Dutt und war bemerkenswert klein, schaute von unten herauf in sein Gesicht, zum Beispiel zwicken, sagte sie fröhlich.
    Das ist nicht kriminell, das ist kindisch, mischte sich Stanjic ein. Er behauptete, diese Beobachtung träfe sich hundertprozentig mit Goethes diesbezüglichen Erfahrungen, und wechselte ohne Mucken mit ihr das Zimmer, vielleicht vertrat er die Meinung, seine neue Liebe vertrüge sich gut mit derart infantilen Erscheinungen.
     
    Nachdem Frederik von Sydow diesen ganzen Quatsch hinter sich hatte, zog er sich zum Verschnaufen in die Speisekammer zurück und aß ein Stück Quittenbrot.
    Hier war es schön. Er aß noch ein Stück Quittenbrot, Quittenbrot, sagte er vor sich hin, ein hinreißendes Wort, vermutlich hoffnungslos veraltet, er hatte aber keine Ahnung, wie man das heutzutage womöglich nannte. Ein wundervolles Wort, überhaupt, Quitte, sehr sehr schönes Wort, die Quitte war gelb und das Wort war gelb, diese Art von Koinzidenz kommt in der Sprache nicht allzu häufig vor. Das Quittenbrot war, wie er einmal gelesen hatte, eine der ältesten Süßigkeiten überhaupt. Das gefiel ihm.
    Hier war es ruhig, gedämpft krawallte es von fern, doch hier herinnen war es wundervoll friedlich und wohltuend gut gefüllt. Die Einkäufe türmten sich auf den Regalen, allerlei Spezereien baumelten von der Decke, unter anderem ein gewaltiger Laib Käse, Onkel Hinne hatte ihn verschnürt wie ein Paket und neben Würsten, Speck und Schinkenseiten an der Decke verzurrt und säbelte nach Bedarf große Tortenstücke davon herunter.
    Säckeweise lagerte Getreide an den Wänden. Tante Hildegard bestand seit Jahr und Tag darauf, sämtliches Mehl frisch zu mahlen, sie reiste zu diesem Zweck jeweils ohne Mann, aber mit einer großen Getreidemühle an – Sydow war nicht sicher, ob sie keinen Mann hatte oder er aber wegen der Größe der Getreidemühle keinen Platz mehr im Auto fand. Jedenfalls brachte sie eine Getreidemühle an, wie man sie in diesem Ausmaß ansonsten in einem Privathaushalt gar nicht antraf, in ihrem außerweihnachtlichen Leben mahlte und buk sie damit in einer ökologischen Hofgemeinschaft. In einer dubiosen Kommune, wie Sydow gerne sagte.
    Das ist keine Kommune, sagte seine Oma strafend, Tante Hildegard mag ein wenig ökolastig sein, das ist aber auch schon alles.
    Doch, sagte ihr Enkel, sie wohnt mit zwölf Männern in einer Mahl- und Sexualgemeinschaft, sie backen wöchentlich für den Ökomarkt Brötchen in

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