Schwanengesang (German Edition)
zurück, abzudrehen, in dem der Bösewicht wieder munter seine Intrigen spann, als sei nichts geschehen.
»Was amüsiert dich so?«, wollte Melanie wissen.
Marc sah sie an. »Ich freue mich nur«, sagte er.
In diesem Moment beobachtete er, wie draußen am Schaufenster ein Mann vorbeiging, der ihm vage bekannt vorkam. Sekunden später fiel es ihm ein und er sprang von seinem Platz auf. »Entschuldige«, rief Marc Melanie zu, »ich bin gleich wieder da.«
Er lief aus dem Café auf die Fußgängerzone und brauchte einen Moment, um den Hinterkopf des Mannes in der Menge auszumachen. Dann rannte er hinter ihm her.
»Herr Scarpetta!«, rief Marc. »Einen Moment bitte.«
Der Mann blieb stehen, drehte sich um und musterte Marc mit gerunzelter Stirn. Jennifers Vater erinnert sich nicht an mich, wurde Marc klar.
»Mein Name ist Hagen«, erklärte er deshalb. »Ich habe Sie vor einigen Wochen in Ihrer Wohnung besucht.«
»Sie müssen entschuldigen«, erwiderte Scarpetta, »aber damals sah es in meinem Leben noch etwas anders aus. Ich habe früher sehr viel getrunken.«
Für Marc war offensichtlich, dass sich in Scarpettas Leben einiges geändert hatte. Sein Haar war gewaschen, er war glatt rasiert und trug ein gebügeltes, blütenweißes Hemd und eine saubere schwarze Hose.
»Ich war bei Ihnen, um Ihnen einige Fragen über Dr. Hei nen zu stellen«, versuchte Marc, dem Gedächtnis des Mannes auf die Sprünge zu helfen. »Haben Sie gehört, dass er tot ist?«
Scarpetta nickte. »Ja, das ist mir bekannt. Ich habe jahrelang gebetet, dass er seine gerechte Strafe dafür bekommt, was er Jennifer und uns angetan hat. Ich habe mir in meinen Gedanken ausgemalt, dass ich dann auf seinem Grab tanzen werde. Aber als ich die Nachricht von seinem Tod bekommen habe, habe ich gar nichts gespürt. Keine Freude, nichts. In mir war nur völlige Leere. Auf einmal habe ich begriffen, dass sein Tod nichts ändert. Gar nichts.«
Marc wusste nicht, was er sagen sollte. »Immerhin scheint Heinens Tod eine positive Auswirkung gehabt zu haben«, meinte er schließlich. »Wie es aussieht, haben Sie Ihr Leben wieder in den Griff bekommen.«
»Sie meinen mein neues Outfit?« Scarpetta sah an sich herunter. »Ja, ich habe endlich verstanden, dass die Vergangenheit Vergangenheit ist und das Leben weitergeht. Es nützt niemandem etwas, wenn ich mich langsam zu Tode saufe. Jennifer am allerwenigsten. Ich bin mir sicher, dass sie nicht gewollt hätte, dass ich mein Leben so wie in den letzten beiden Jahren fortführe. Also habe ich mich endlich aufgerafft und alle Flaschen weggeworfen, egal, ob sie voll oder leer waren.« Er räusperte sich und schaute auf die Uhr. »Ich muss weiter«, sagte er. »Ich habe einen Job als Aushilfe in einer Pizzeria und mein Dienst beginnt in zehn Minuten.«
Er nickte Marc zum Abschied zu. »Ich wünsche Ihnen alles Gute, Herr Hagen. Auch wenn ich immer noch nicht weiß, wer Sie sind.«
45
Marc betrat das Polizeipräsidium am folgenden Mittwochnachmittag. Ein uniformierter Beamter führte ihn in das Vernehmungszimmer, zwei Minuten später kam Kriminalhauptkommissar Weskamp in den Raum und setzte sich Marc gegenüber.
»Hallo, Herr Hagen«, sagte er. »Danke, dass Sie unserer Einladung gefolgt sind.«
»Für meine Freunde und Helfer tue ich fast alles. Apropos, wo ist denn mein besonderer Freund Kriminalhauptkommissar Templin?«
»Der Kollege kann uns heute leider keine Gesellschaft leisten«, erwiderte Weskamp. »Er ist dienstlich verhindert.«
»Ach, und ich dachte, Sie führen Ihre Verhöre immer zu zweit durch.«
»Sie schauen zu viel fern. Außerdem handelt es sich hier und heute nicht um ein Verhör, sondern um ein Informationsgespräch.«
Marc musste unwillkürlich grinsen. Als ›unverbindliches Informationsgespräch‹ oder ›informelle Unterhaltung‹ wurden in Polizeikreisen Verhöre bezeichnet, die dazu dienten, möglichst viele Informationen von einem Verdächtigen zu erlangen, bevor er formell über seine Rechte als Beschuldigter belehrt werden musste.
Weskamp deutete Marcs Grinsen richtig. »Sie irren sich, Herr Hagen«, sagte er. »Ich möchte keine Auskünfte von Ihnen. Es geht darum, Ihnen bestimmte Informationen zukommen zu lassen.«
»Tatsächlich? Haben Sie endlich begriffen, dass es für beide Seiten von Vorteil sein kann, wenn man sich austauscht? Allerdings dürfte Ihre Einsicht in dieser Sache zu spät kommen. Meines Wissens ist der Fall doch aufgeklärt.«
Weskamp strich sich über
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