Schwanengesang (German Edition)
die Haare. »Nicht ganz, Herr Hagen, nicht ganz. Es haben sich einige, wie soll ich es sagen … Ungereimtheiten ergeben, die ich gerne mit Ihnen besprechen würde. Vielleicht haben Sie ja eine hilfreiche Idee.«
»Ungereimtheiten?« Marc rutschte auf seinem Stuhl ganz nach vorn. »Was meinen Sie?«
»Nun, da ist zunächst der Mord an Dr. Heinen. Wir sind bisher davon ausgegangen, dass Herr Wagner ihn erschossen hat.«
»Und das tun Sie jetzt nicht mehr? Ich dachte, Sie hätten die Tatwaffe bei ihm gefunden, die Pistole, mit der er sich erschossen hat.«
»Richtig. Mit der Waffe, die Ihnen Herr Wagner ausgehändigt hat, ist Frau Vollmer erschossen worden, mit der anderen Waffe, die wir neben ihm auf dem Boden gefunden haben, ist Herr Dr. Heinen getötet worden. Das steht zweifelsfrei fest.«
»Aber?«, fragte Marc ungeduldig.
»Aber Herr Wagner kann den Arzt nicht erschossen haben. Dr. Heinen wurde am 11. oder 12. März getötet, Wagner war in der Zeit vom 10. bis zum 13. März auf einem Arbeitsrechtsseminar in Bad Kissingen. Und dieses Seminar hat er die ganze Zeit nicht verlassen.«
»Ist das sicher?«
»O ja. Die anderen Teilnehmer konnten sich sehr gut an Herrn Wagner erinnern. Tagsüber hat er in den Vorträgen gesessen und abends und nachts in der Kellerbar des Schulungszentrums gefeiert und bis zum Exzess getrunken. Wie heißt es dann immer so schön in Arbeitszeugnissen? Durch sein Verhalten trug er zur Verbesserung des Betriebsklimas bei. Die anderen Anwälte waren von seinen Entertainerfähigkeiten geradezu begeistert.«
Marc musste lächeln. Ja, das hörte sich nach dem Gabriel Wagner an, den er gekannt hatte.
Und dann fiel ihm auch wieder ein, was Gabriel ihm bei ihrem letzten Gespräch gesagt hatte. Ich habe schon einen Menschen erschossen. Einen Menschen! Und das hatte er auch genauso gemeint.
»Wenn Gabriel Heinen nicht erschossen hat, wird es Charlotte Vollmer gewesen sein«, vermutete Marc. »Oder hat die auch ein Alibi?«
»Nicht direkt. Frau Vollmer ist am 12. März mit ihrem BMW nach Südfrankreich gefahren. Wir haben im Handschuhfach ihres Wagens zahlreiche Tankbelege von Autobahnraststätten und Tankstellen in der Provence gefunden, anhand derer wir ihre Fahrt ziemlich lückenlos rekonstruieren konnten.«
»Moment«, warf Marc ein. »Dr. Heinen ist doch am 11. oder 12. März ermordet worden. Also kann Frau Vollmer ihn erschossen haben und danach losgefahren sein.«
»Zeitlich würde das hinkommen«, stimmte Weskamp Marc zu. »Ich weiß nur nicht, ob ich Frau Vollmer eine derartige Tat zutrauen würde. Ich habe mich zwar nur einmal etwa eine Stunde nach dem Mord an Frau Reichert mit ihr unterhalten, aber dabei habe ich den Eindruck gewonnen, dass sie nicht der Typ für eine solche Tat ist. Wie sehen Sie das? Sie haben doch häufiger mit ihr gesprochen.«
»Genau drei Mal«, bestätigte Marc. »Und ich stimme Ihnen zu: Auch ich hätte Frau Vollmer nie einen Mord zugetraut. Trotzdem muss ich zur Kenntnis nehmen, dass viele Menschen, denen man es eigentlich nicht zutraut, andere Menschen töten. Gabriel Wagner habe ich über zwanzig Jahre gekannt. Ich hätte nie geglaubt, dass er einen anderen Menschen erschießen kann, bis ich es aus seinem eigenen Mund gehört habe.«
Weskamp nickte langsam, als stimme er mit Marcs Überlegungen überein.
»Da ist noch etwas«, fuhr der Beamte fort. »Wir haben in der Fischerhütte, in der Dr. Heinen erschossen worden ist, nicht einen Hinweis darauf gefunden, dass sich Frau Vollmer jemals dort aufgehalten hat. Kein Fingerabdruck, kein Haar, keine Hautschuppe von ihr ist dort gefunden worden. Und unsere Spurensicherung ist sehr gründlich, glauben Sie mir.«
»Trotzdem kann Frau Vollmer dort gewesen sein, ohne eine Spur zu hinterlassen. Sie klopft an der Tür, Heinen öffnet, sie schießt und schon ist sie wieder weg.«
Weskamp machte ein skeptisches Gesicht, sagte aber nichts. Marc wartete einfach ab. Er ahnte, dass der Kommissar noch mehr in petto hatte. Und er wurde nicht enttäuscht.
»Das, was ich Ihnen jetzt mitteilen werde, dürfte ein ziemlicher Schock für Sie sein, aber ich fürchte, ich kann Ihnen die Nachricht nicht ersparen.« Weskamp machte eine effektvolle Pause und beobachtete Marc, der unruhig auf seinem Stuhl hin und her rutschte.
»Was ist es?«, fragte Marc alarmiert. »Nun machen Sie es nicht so spannend.«
Weskamp faltete die Hände. »Also«, sagte er dann. »Tatsache ist, dass Herr Wagner sich nicht erschossen
Weitere Kostenlose Bücher