Schwanengesang (German Edition)
siebenstelligen Bereich liegen. Sie sollten sich daher überlegen, ob Sie die Erbschaft nicht ausschlagen wollen. Die Ausschlagungsfrist beträgt sechs Wochen ab Kenntnis der Berufung zum Erben, das heißt, es wird dringend Zeit, sich darüber ernsthafte Gedanken zu machen. Das Gleiche hätte ich auch Herrn Rottmann geraten, aber der Herr«, er schmunzelte, »hat es ja vorgezogen, uns vorzeitig zu verlassen und ich sehe es deshalb auch nicht unbedingt als meine Pflicht an, ihn noch einmal gesondert über die Überschuldung des Nachlasses zu informieren. Haben Sie im Moment noch Fragen an mich?«
Marc, Lichtenfeld und Klein schüttelten beinahe gleichzeitig den Kopf.
»Nun gut.« Dr. Kröger erhob sich. »Ich werde mich umgehend mit Ihnen in Verbindung setzen, sobald ich etwas Neues weiß.«
Der Notar begleitete sie bis zum Ausgang, wo er ihnen zum Abschied die Hand schüttelte.
Marc hatte sich inzwischen vom ersten Schock erholt. »Haben Sie so etwas geahnt?«, fragte er, als er mit den beiden Vereinsmitgliedern im Aufzug nach unten stand.
Während Lichtenfeld nur stumm den Kopf schüttelte, reagierte sein Stellvertreter Herbert Klein mit dem merkwürdigen Lächeln, das Marc schon bei ihrer ersten Begegnung aufgefallen war. »Der Herr hat’s gegeben und der Herr hat’s genommen«, sagte er mit seiner Singsang-Stimme. »Und die Wege des Herrn sind unergründlich. Denken Sie darüber nach, Herr Hagen. Denken Sie über diese Worte nach.«
Nachdem sich Marc von den beiden verabschiedet hatte, klingelte sein Handy. Auf dem Display stand: Melanie. Marcs Herz machte einen kleinen Satz. »Ja?«, sagte er nur, nachdem er die grüne Taste gedrückt hatte.
»Hallo, Marc, Melanie hier«, hörte er ihre Stimme. »Ich würde mich gerne mit dir treffen.«
»Klar, natürlich. Komm doch heute Abend bei mir vorbei. Ich bin die ganze Zeit zu Hause. Wenn du willst, kann ich aber auch zu Bea kommen. Wenn sie mich denn reinlässt.« Er lachte, um deutlich zu machen, dass er einen Scherz gemacht hatte, aber Melanie ging nicht darauf ein. »Ich würde mich lieber an einem neutralen Ort mit dir treffen«, sagte sie ernst. »Da können wir alles besprechen.«
»Wie du möchtest«, erwiderte Marc. »Wie sieht es morgen Mittag um eins bei dir aus? Café Knigge in der Bahnhofstraße?«
»Morgen um eins«, bestätigte Melanie. »Bis dann.«
Die Leitung war tot und Marc drückte die rote Taste. Ein ›neutraler Ort‹, dachte er. Ein idealer Platz, um eine Beziehung endgültig zu beenden.
44
Als Marc das Café betrat, fand er Melanie an einem Tisch in der Nähe des Eingangs. Noch ein schlechtes Zeichen, dachte er. Womöglich hatte sie den Platz nur gewählt, um schnell wieder verschwinden zu können.
Sie begrüßten sich mit einer vorsichtigen Umarmung, dann setzte Marc sich Melanie gegenüber. Dabei stellte er fest, dass Melanie noch nie so gut ausgesehen hatte wie heute. Er bestellte sich ebenfalls eine Tasse Kaffee, dann sah er seine Freundin erwartungsvoll an.
Die hatte offenbar beschlossen, gleich zur Sache zu kommen. »Ich habe mir lange überlegt, wie es mit uns weitergehen soll. Ich habe auch mit Lizzy gesprochen und wir haben gemeinsam eine Entscheidung getroffen.« Sie atmete tief durch. Nun sag schon!, schoss es Marc durch den Kopf. »Also, wir haben beschlossen, dass wir dir noch eine Chance geben und wieder bei dir einziehen wollen. Natürlich nur, wenn du damit einverstanden bist«, fügte sie hinzu.
»Selbstverständlich bin ich einverstanden«, erwiderte Marc. »Ich bin nur etwas überrascht. Bei unserem letzten Treffen hast du einen eher distanzierten Eindruck gemacht. Ist seitdem irgendetwas geschehen?«
Melanie zögerte. »Ja«, sagte sie schließlich. »Ich habe vor zwei Tagen einen Anruf bekommen. Einen sehr aufschlussreichen Anruf.«
»Verrätst du mir auch von wem?«
»Ja, von Julia.«
»Julia?« Marc war vollkommen baff. »Julia Wagner? Ich wusste bisher nicht einmal, dass ihr euch kennt.«
»Wir haben bis vorgestern nie ein Wort miteinander gewechselt«, bestätigte Melanie. »Irgendwie ist es ihr gelungen, an Beas Nummer zu gelangen, und wir haben fast drei Stunden miteinander geredet. Hauptsächlich über dich.«
»Und offensichtlich nur Gutes, wenn du wieder bei mir einziehen willst.« Marc konnte sich die Bemerkung nicht verkneifen.
Melanie lächelte nicht. »Julia scheint in der Tat große Stücke auf dich zu halten. Sie hat mir viel von dir erzählt, auch Sachen, die ich noch gar nicht
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