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Schwanengesang (German Edition)

Schwanengesang (German Edition)

Titel: Schwanengesang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Hoppert
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zurückzuziehen.
    In diesem Moment meldete Stefanie sich über die Gegensprechanlage.
    »Hier ist ein Kurier«, teilte sie mit. »Er sagt, er darf Ihnen die Lieferung nur persönlich aushändigen.«
    Marc sah auf die Uhr: drei Minuten vor zwölf. Er ging in sein Vorzimmer, wo Stefanie mit einem jungen Mann im grauen Overall auf ihn wartete. In der Hand hielt der Bote ein Klemmbrett, auf das er jetzt schaute. »Herr Marc Hagen?«, fragte er mit leichtem holländischem Akzent. »Ich habe ein Lieferung für Herrn Hagen.«
    »Das bin ich«, bestätigte Marc. »Was bekommen Sie?«
    Ein weiterer Blick auf das Klemmbrett. »289,90«, lautete die Antwort.
    Marc gab ihm dreihundert Euro und verzichtete auf das Wechselgeld. Dafür nahm er ein annähernd würfelförmiges Paket entgegen und musste mit seiner Unterschrift bestätigen, dass er die Lieferung erhalten hatte.
    »Muss ich den … äh … das … kühl lagern?«, erkundigte sich Marc.
    Der Kurier befragte wieder sein Brett. »Davon steht hier nichts.«
    »Dann vielen Dank. Und gute Fahrt!«
    »Was ist das?«, wollte Stefanie wissen, als sie wieder allein waren.
    »Ein Geschenk«, antwortete Marc. »Vielleicht sogar für Sie.«
    »Als ob Sie mir schon jemals was geschenkt hätten.«
    Marc setzte ein beleidigtes Gesicht auf. »Sie sind ungerecht. Denken Sie nur an den schönen Brieföffner, den Sie vor zwei Wochen von mir bekommen haben.«
    Als Antwort streckte Stefanie ihm die Zunge raus.
    Marc lächelte und schloss seine Bürotür. Er atmete einmal tief durch – die erste Hürde war genommen. Dann trug er das Paket so vorsichtig, als enthalte es eine Bombe, zu seinem Kanzleisafe. Er gab die Kombination ein und legte das Päckchen ins Innere, dann drückte er die Tür sofort wieder zu.
    Geschafft!, dachte er erleichtert.
    Anschließend rief er Dr. Maarten van der Waal in Harleem an. Er hatte den Arzt vor einigen Jahren am Strand von Zandvoort beim gemeinsamen Volleyballspiel kennengelernt und sich mit ihm angefreundet. Als van der Waal ihm erzählt hatte, dass er sein Geld unter anderem mit ärztlicher Sterbehilfe verdiente, war Marc zunächst geschockt gewesen. Doch van der Waal hatte ihm erklärt, dass die Niederlande schon 2002 als erstes Land der Welt die aktive Sterbehilfe legalisiert hatten, nachdem sie bereits seit Anfang der Neunzigerjahre praktisch geduldet war. In den Niederlanden hatte es kaum öffentlichen Widerspruch gegen das Gesetz gegeben, mittlerweile war sogar eine Art Gewöhnungseffekt eingetreten und kaum jemand sprach mehr darüber. Aktive ärztliche Sterbehilfe war für die Niederländer mit weit über zweitausend Fällen jährlich zur Normalität geworden. Van der Waals Meinung nach habe das wohl hauptsächlich damit zu tun, dass es sich um ein protestantisches Land mit einer seit jeher liberalen Grundhaltung handele. Außerdem habe es dort nicht die Euthanasie-Verbrechen der Nazis gegeben, die die Atmosphäre und Diskussion in Deutschland vergiftet hätten.
    Es dauerte eine Weile, dann wurde in den Niederlanden der Hörer abgenommen und Dr. van der Waal meldete sich.
    »Das Paket ist gerade geliefert worden«, sagte Marc anstelle einer Begrüßung und fühlte sich dabei wie ein Spion, der einen Geheimcode verwendete. Was er in gewisser Hinsicht ja auch tat. Er bedankte sich für die prompte Sendung und erkundigte sich noch einmal eingehend nach Lagerung und Wirkung des tödlichen Cocktails. Schließlich wollte er morgen keinen Fehler machen. Van der Waal erklärte ihm alles noch einmal haarklein und gab Marc damit das Gefühl, als handele es sich um die natürlichste Sache der Welt, einem anderen Menschen beim Sterben zu helfen. Er schien Marcs Irritation zu spüren und versicherte ihm mehrfach, alles sei vollkommen narrensicher. Frau Reichert werde zuerst einschlafen und dann in den Tod hinübergleiten. Die Medikamentenzusammenstellung sei seit Jahren erprobt und habe noch nie versagt. Nachdem Marc eine Stunde mit dem Arzt gesprochen hatte, gab er ihm Grüße an die Frau und die drei Kinder des Freundes durch, dann bedankte er sich noch einmal und legte auf. Marc warf einen Blick auf die Uhr. Johanna Reichert hatte jetzt noch ziemlich genau zwanzig Stunden zu leben.

10
    Am nächsten Tag betrat Marc die Villa von Johanna Reichert um kurz vor neun Uhr. Heinen hatte ihn gestern Nachmittag auf seinem Handy angerufen und ihm mitgeteilt, er habe die Videoausrüstung besorgt, alles sei vorbereitet. Jetzt komme es nur noch auf Marc an.
    In der

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