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Schwanengesang (German Edition)

Schwanengesang (German Edition)

Titel: Schwanengesang (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Hoppert
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zu Johanna Reicherts Haus. Kaum war der Motor aus, sprang er aus dem Wagen und schellte Sturm, bis ihm von Heinen geöffnet wurde.
    »Wo ist Yvonne?«, wollte Marc wissen.
    »Die habe ich nach Hause geschickt. Kommen Sie!«
    Marc folgte Heinen in das Schlafzimmer im ersten Stock. Sein erster Blick galt dem Bett. Jemand hatte eine Decke über der Toten ausgebreitet.
    »Yvonne hat mich um halb zwölf angerufen«, berichtete der Arzt. »Ich war eine Viertelstunde später hier und habe Johannas Tod festgestellt. Wie besprochen habe ich eine natürliche Todesursache bescheinigt. Dann habe ich Sie angerufen.«
    »Ist mit der Aufnahme alles in Ordnung?«, erkundigte sich Marc.
    Heinen zuckte die Achseln. »Keine Ahnung. Ich habe die Kamera nur ausgestellt, ansonsten habe ich das Ding nicht angerührt.«
    Marc nahm die Kamera von dem Stativ und setzte sich damit in einen der Sessel. Er drückte den Wiedergabeknopf und auf dem Bildschirm erschien Johanna Reichert, die in ihrem Bett saß. Marc sah sich selbst dabei zu, wie er Sekunden später auf dem Sessel Platz nahm und sich der Kamera zuwandte. »Mein Name ist Marc Hagen«, hörte er sich klar und deutlich sagen. Bild und Ton schienen also in Ordnung zu sein. Marc ließ die Aufnahme noch zwei Minuten weiterlaufen, dann wechselte er in den Schnellvorlaufmodus, bis er zu der Stelle gelangte, an der er den Raum verließ. Johanna Reichert sah ihm noch einen Moment hinterher, dann lächelte sie zufrieden. Sie atmete einige Male bewusst und hörbar durch, dann griff sie nach dem Becher auf dem Nachttisch. Marc sah ihr mit angehaltenem Atem dabei zu, wie sie langsam alles austrank.
    Anschließend stellte sie den Becher sorgfältig wieder auf dem Nachttisch ab, entfernte alle Kissen bis auf eines und ließ sich zurücksinken. Sie faltete die Hände auf dem Bauch und schloss die Augen.
    Marc musste sich förmlich zwingen, weiter zuzusehen, aber er wollte ganz sichergehen, dass die Aufnahme vollständig war.
    Nach kurzer Zeit war Johanna Reichert eingeschlafen. Ein Übergang vom Schlaf zur Bewusstlosigkeit oder von der Bewusstlosigkeit zum Tod war nicht auszumachen.
    Irgendwann schaltete Marc wieder auf Schnellvorlauf. Minutenlang bewegte sich nichts in dem Zimmer. Erst nach einer knappen Stunde betrat das Hausmädchen den Raum, um nach Johanna Reichert zu sehen.
    Marc beobachtete, wie Yvonne ihre Arbeitgeberin zunächst ansprach, sie dann am Arm anfasste und sanft rüttelte. Als keine Reaktion erfolgte, verließ sie hastig und mit einem panischen Gesichtsausdruck das Zimmer.
    Marc stellte wieder auf Schnellvorlauf. Eine Viertelstunde später kehrte Yvonne zusammen mit Heinen in das Zimmer zurück. Der Arzt ging zu Johanna Reichert und untersuchte sie gründlich. Als er damit fertig war, fiel sein Blick auf die Videokamera. Er ging auf sie zu. Zwei Sekunden später wurde das Display schwarz und auch Marc schaltete nun das Gerät aus.
    »Mit der Aufnahme alles in Ordnung?«, erkundigte sich Heinen.
    »Ja«, antwortete Marc. »Ich denke, es ist am besten, wenn ich die Speicherkarte in Verwahrung nehme. Einverstanden?«
    »Natürlich«, erwiderte Heinen. »Schließlich waren Sie es, der auf der Aufnahme bestanden hat. Ich nehme an, Sie wollen nicht zusammen mit mir auf den Bestatter warten?«
    Marc schüttelte den Kopf. »Nein.« Er zögerte. »Aber ich würde Frau Reichert gerne noch einmal sehen.«
    »Selbstverständlich«, erwiderte Heinen. Er griff nach der Decke und sah Marc an. »Sind Sie bereit?«
    Marc brauchte einen winzigen Moment, dann nickte er auffordernd.
    Heinen zog das Laken beiseite. Marc nahm sich mehrere Sekunden Zeit, Johanna Reichert zu betrachten. Sie wirkte fast so, als würde sie schlafen und machte einen absolut entspannten und friedlichen Eindruck.
    Du hast dich richtig entschieden, sagte Marc zu sich selbst. Die Frage war nur: Warum fühlte er sich dann so schlecht?

Teil 2
    Vermächtnis mit Folgen

12
    Zwei Wochen waren vergangen. Zwei Wochen, in denen Marc sich in die Arbeit gestürzt hatte, um nicht an Johanna Reichert denken zu müssen. Irgendwann hatte Heinen angerufen und ihn gefragt, ob er an der Beerdigung teilnehmen wolle, aber Marc hatte abgelehnt. Irgendwie war ihm der Gedanke makaber vorgekommen, schließlich war er es gewesen, der einen nicht unerheblichen Anteil an Johanna Reicherts Ableben hatte. Außerdem wusste er nicht genau, inwieweit Johanna Reicherts Verwandte und Freunde über seine Mitwirkung an ihrem Tod informiert waren, und er

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