Schwanengesang (German Edition)
wollte.«
Marc dachte darüber nach. »Das sind mir zu viele ›Vielleichts‹«, sagte er dann. »Gibt es denn einen Hinweis, dass die beiden wirklich befreundet waren oder dass es zwischen ihnen nach ihrer gemeinsamen Zeit in Solingen noch irgendeinen Kontakt gab?«
»So weit bin ich noch nicht. Aber es ist ein interessanter Ansatz, das musst du zugeben.«
»Kann sein«, meinte jetzt auch Marc. »Bis jetzt ist das alles noch viel zu vage. Ich würde dich aber bitten, am Ball zu bleiben und zu schauen, ob du noch mehr über die Beziehung der beiden herausfinden kannst. Mich interessiert momentan hauptsächlich, wie es zu dieser Testamentsänderung zu meinen Gunsten gekommen ist. Abgesehen von der DVD ist dieses Vermächtnis der Knackpunkt, der mir einmal das Genick brechen kann.«
»Aber wie willst du das herausfinden? Johanna Reichert ist tot.«
Marc lächelte wissend. »Es gibt da jemanden, an den wir noch gar nicht gedacht haben …«
29
»Danke, dass Sie Zeit für mich haben.« Marc schüttelte Dr. Kröger die Hand. Kröger war ein schlanker Patrizier Mitte fünfzig mit Gesichtszügen wie gemeißelt. Mit seiner perfekt geschnittenen Frisur, dem anthrazitgrauen Maßanzug und den blitzblank polierten Schuhen verkörperte er von Kopf bis Fuß das Idealbild des erfolgreichen und seriösen Rechtsanwalts und Notars.
Seine manikürte Hand zeigte auf einen Besucherstuhl. »Nehmen Sie Platz, Herr Hagen«, sagte er mit einer sonoren Baritonstimme.
Dann ging er um den riesigen Schreibtisch herum und setzte sich in seinen ledernen Chefsessel. An der mit dunklem Holz vertäfelten Wand hinter ihm hingen Porträts von drei Männern. Marc wusste, dass es sich um Dr. Krögers Urgroßvater, den Gründer der Kanzlei Kröger & Partner, seinen Großvater und seinen Vater handelte, die die Kanzlei weitergeführt und zum größten juristischen Beratungsunternehmen zwischen Dortmund und Hannover ausgebaut hatten. Marc musste unwillkürlich schlucken, als ihm bewusst wurde, dass momentan über einhundert Jahre Bielefelder Rechtsgeschichte auf ihn herabblickten.
»Wie geht es Ihrem Vater?«, erkundigte sich Kröger freundlich.
»Gut, danke«, erwiderte Marc, und fügte in Gedanken ein ›soweit ich weiß‹ hinzu. Als sein Vater noch Richter am Landgericht Bielefeld gewesen war, hatte Kröger vor fast dreißig Jahren einen Teil seines Referendariats bei ihm absolviert. Marc war sich vollkommen darüber im Klaren, dass er seine Audienz bei dem Notar einzig und allein dieser Tatsache zu verdanken hatte.
Kröger strich sich über seine silbergrauen, streng nach rechts gescheitelten Haare und lächelte in sich hinein. »War schon ein Original, Ihr Vater«, sagte er.
»Ich hoffe, Sie haben keine allzu unangenehmen Erinnerungen an ihn«, warf Marc ein.
Kröger lachte. »Nein, mit mir konnte er ganz gut. Einer meiner Freunde hatte nicht so viel Glück. Dem hat Ihr Vater wörtlich ins Zeugnis geschrieben, er hätte sich selbst einen Gefallen getan, wenn er einen handwerklichen Beruf ergriffen hätte.« Krögers Grinsen wurde noch breiter. »Na ja, mein Freund hat es halbwegs unbeschadet überstanden. Er ist inzwischen Richter am Bundesgerichtshof.«
Marc lachte freundlich mit. »Ja, mein Vater konnte bisweilen ziemlich hart sein. Mir hat er bis heute nicht verziehen, dass ich vor über zehn Jahren meinen Richterberuf an den Nagel gehängt habe.«
»Aber Sie stehen noch in Kontakt?«
»Sporadisch. Sie wissen ja wahrscheinlich, dass er schon vor Jahren ans Oberlandesgericht Dresden gegangen ist. Mittlerweile ist er pensioniert, aber er wohnt nach wie vor ›drüben‹. Ich glaube, wir haben uns in den letzten fünf Jahren dreimal gesehen.«
Kröger nickte verstehend. »Und Sie sind jetzt als Anwalt tätig, wie ich gehört habe?«
»Ja, Einzelkämpfer.« Marc machte eine Handbewegung, die das gesamte, etwa fünfzig Quadratmeter große Büro umfasste. »Mit dem hier natürlich nicht zu vergleichen.«
Kröger faltete die Finger vor seinem Bauch. »Auch wir mussten schon ganz schön strampeln, Herr Hagen, glauben Sie mir«, sagte er dann. »Das Motto lautet: Immer weiter kämpfen, irgendwann geht es auch wieder aufwärts.« Er zwinkerte Marc freundlich zu, wurde dann aber gleich wieder ernst. »Nun, was führt Sie zu mir?«
Marc wurde nervös. Offenbar war der Small Talk beendet und es ging zur Sache. »Ich komme in einer etwas delikaten Angelegenheit«, setzte er zögernd an. »Es geht um die Erbschaftssache Johanna Reichert.
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