Schwanengrab
wartete auf mich, in der sie sich ausmalte, was wir allesgemeinsam unternehmen könnten. Mein Herz machte einen Hüpfer! Ich schrieb zurück und erzählte ihr von den seltsamen Vorfällen in der Schule. Auch von Veronika und der verblüffenden Ähnlichkeit, und schließlich endete ich mit den Nachhilfestunden bei Christoph, die ich nun vor mir hatte. Wie gerne hätte ich ihr alles persönlich erzählt.
Die Zeit, die mir noch blieb, nutzte ich, um mein Zimmer aufzuräumen. Ich stellte eine Flasche Mineralwasser auf meinen Schreibtisch, eine Schale mit Weintrauben und zur Krönung zwei Tassen dampfenden Kakao. Ohne Sahne, denn die hatte ich leider nicht zu Hause. Gerade als ich fertig war, hörte ich einen Motorroller die Straße entlangkommen. Direkt vor dem Haus hielt er an. Ein Blick aus dem Fenster verriet mir, dass es Christoph war. Er fuhr eine total süße hellblaue Vespa und war auf die Minute pünktlich! Ich eilte zur Tür und betätigte den Summer. Gleich darauf hörte ich seine Schritte im Hausflur.
»Hey!«, begrüßte ich ihn gut gelaunt.
»Hallo!« Er grinste.
»Komm doch rein!« Seine Jacke landete an der Garderobe. Diesmal trug er einen frischen Pullunder – in Rot. Der Helm hatte seine Haare zerzaust, was ihm viel besser stand. Eigentlich sah er wirklich gut aus, von seinem spießigen Outfit und seiner viel zu braven Frisur einmal abgesehen. Aber schließlich war ich auch nicht Mrs Perfect, mit meiner Zahnspange und den Pickeln, die zwar nicht oft kamen, aber oft genug, um sie zu hassen.
Er lächelte, als er den Kakao sah.
Auf meinem Bett lag die bunte Tagesdecke, die meine Mutter zu meiner Geburt selbst genäht hatte. Aus allen möglichen Stoffresten ihrer Urlaubs-T-Shirts vergangener Reisen. Sie hatte viel gesehen: Europa, Asien, sogar Australien. Daher gab es auf der Decke neben Koalabären und Kängurus auch Dudelsäcke, chinesische Schriftzeichen, Milchkühe und venezianische Gondeln. Roots to grow and wings to fly hatte sie an den Seitenrändern daraufgestickt. Wurzeln, um zu wachsen, und Flügel, um zu fliegen. Ich liebte diese Decke – schon immer und jetzt noch mehr.
Christoph betrachtete die Collage, die mir meine Freunde zum Abschied geschenkt hatten und die nun über meinem Bett hing: ich mit Sarah beim Milchshake-Schlabbern, im Bikini auf dem Jet-Ski, zusammen mit Josy im Cable Car durch San Francisco, mit Cowboyhut auf dem Rodeo-Treff, im Cheerleader-Kostüm beim Anfeuern unserer Football-Mannschaft und mit Jester, Mannschaftskapitän und dem wohl coolsten Jungen der Junior High. Auf dem Foto drückte er mir einen Kuss auf die Wange und ich verdrehte selig die Augen. Himmel, war ich verknallt in diesen Typen, bis ich merkte, dass es allen Mädchen aus unserer Klasse so ging und er mit jeder knutschte.
»Wer ist das?«
»Jester!«, sagte ich – bemüht, so belanglos wie möglich zu klingen.
»Dein Freund?« Auch bei ihm wirkte es beiläufig.
Ich schüttelte den Kopf und musste lachen. »Nein! Da war nie was Ernstes. Eigentlich ist er gar nicht mein Typ.«
»Und was ist dein Typ?«
Ich spürte, dass ich rot wurde. Was wollte er denn hören? Eine genaue Personenbeschreibung? Ich zuckte mit den Schultern. »Weißt du, im Moment hab ich dafür eh keinen Kopf. Bei allem, was bei mir schiefläuft.«
Er nickte und lächelte mich an. »Kenne ich! Hast ja ein ganz schön aufregendes Leben geführt bis jetzt.«
»Auch nicht aufregender als deines, denke ich. Das war in Berkeley eben ganz normal«, winkte ich ab.
Er musste zwei Jahre älter sein als ich. Schließlich ging er schon in die Elfte. Und er fuhr eine Vespa.
»Vermisst du es?«
»Was?«, erwiderte ich verwirrt. Schließlich rechnete ich gerade nach, wie alt er wohl war.
»Na, dein Leben in Amerika.«
»Ja, schon.«
»Kann ich mir vorstellen.« Er ging zum Schreibtisch und lud seine Bücher ab. »Also, dann legen wir los, oder?«
Ich nickte und setzte mich zu ihm. Er konnte wirklich gut erklären. Das ganze Zahlen- und Formelwirrwarr nahm unter seiner Anleitung endlich ein bisschen Struktur an. Plötzlich verstand ich Zusammenhänge, die mir vorher absolut fremd gewesen waren. Wir lachten viel. Nie hätte ich gedacht, dass zwei Stunden Mathe pauken so viel Spaß machen konnte. Bevor er gehenmusste, hörten wir noch gemeinsam meine CDs durch. Wie wir feststellten, hatten wir den gleichen Musikgeschmack.
»Danke! War wirklich toll von dir. Jetzt wird der nächste Mathetest bestimmt nur noch halb so schlimm«, sagte
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