Schwanenschmaus im Porterhouse
in dem Bewußtsein vor sich hin, zum ersten Mal in einer langen Laufbahn politischer Manöver und Kompromisse einen klaren Sieg über eine offensichtlich unnachgiebige Opposition errungen zu haben. An der Unterwerfung der Fellows gab es gar keinen Zweifel. Sie waren zu ihm gekrochen gekommen, und Sir Godber schwelgte in dieser Erinnerung, ehe er über die Hintergründe ihrer Kapitulation nachdachte. Niemand – wer wußte das besser als Sir Godber – kam ohne Grund derart angekrochen. Wer so ehrerbietig war wie die Fellows, führte irgendwas im Schilde. Die bloße Vermutung, seine Drohung habe gewirkt, erklärte nicht alles. Er hatte sie vielleicht gezwungen, bei Fuß zu gehen, doch es wäre nicht nötig gewesen, daß ausgerechnet der Dekan so unterwürfig mit dem Schwanz wedelte. Sir Godber setzte sich an den Kamin und dachte über den Charakter des Dekans nach, bemüht, ein Motiv zu finden. Je mehr er nachdachte, desto weniger Grund sah er, sich voreilig auf die Schulter zu klopfen. Sir Godber unterschätzte den Dekan nicht. Der Mann war ein ignoranter, selbstgerechter Eiferer mit der ganzen Ausdauer eines Selbstgerechten und der ganzen Gerissenheit des Ignoranten. »Er schindet Zeit«, schloß er messerscharf, »aber Zeit wofür?« Es war eine unangenehme Vorstellung. Nicht zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Porterhouse hatte Sir Godber das leise, aber unbehagliche Gefühl, daß seine oberflächlichen Vermutungen über die menschliche Natur – die Grundlagen seiner liberalen Ideale – irgendwie durch eine verschlagene Scholastik bedroht wurden, deren Ursprünge gar nicht so rational und viel diffuser waren, als ihm lieb sein konnte. Er erhob sich und starrte in die Nacht hinaus, auf die Umrisse der mittelalterlichen Collegegebäude, die sich gegen den orangefarbenen Himmel abhoben. Es hatte wieder zu schneien begonnen, und Wind war aufgekommen, der die Schneeflocken mit unberechenbaren Böen mal hierhin, mal dorthin trieb. Er zog die Vorhänge zu, um sich den Anblick fehlender Symmetrie in der Natur zu ersparen, und ließ sich mit Bentham, seinem Lieblingsautor, im Sessel nieder.
Am High Table speisten die Fellows in trübsinnigem Schweigen. Sogar dem pochierten Lachs des Küchenchefs gelang es nicht, ihre Stimmung zu heben, die unter der Verstocktheit des Rektors und der Erinnerung an ihre Kapitulation litt. Allein der Dekan blieb unverzagt. Er schaufelte sich das Essen n den Rachen, als wolle er seine Entschlossenheit schüren, und dazu häuften seine Lippen Flüche auf Sir Godbers Haupt, seine Stirn glänzte ölig, und in seinen Augen funkelte die Gerissenheit, die Sir Godber bemerkt hatte. Als sie anschließend im Gemeinschaftsraum ihren Kaffee zu sich nahmen, sprach der Obertutor das Thema ihres nächsten Schrittes an. »Es sieht so aus, als bliebe uns bis Mittwoch Zeit, die Pläne des Rektors zu vereiteln«, stellte er fest und nippte bedächtig an seinem Brandy. »Eine relativ kurze Zeitspanne, wenn Sie mir diese Bemerkung gestatten.«
»Kurz aber ausreichend«, sagte der Dekan knapp. »Ich muß schon sagen, daß mich Ihre Zuversicht ein wenig überrascht, Herr Dekan«, sagte der Schatzmeister nervös. Der Dekan musterte ihn erstaunlich grimmig. »Wohl kaum mehr, als mich Ihre fehlende Diskretion überrascht hat, Schatzmeister«, fauchte er. »Ich kann mir kaum vorstellen, daß die Situation diese unglückliche Wendung genommen hätte, wenn Sie nicht die finanzielle Lage des Colleges an die große Glocke gehängt hätten.«
Der Schatzmeister errötete. »Ich wollte den Rektor lediglich darauf hinweisen, daß die von ihm vorgeschlagenen Veränderungen unsere Mittel überstrapazieren würden«, verteidigte er sich. »Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie als erster vorgeschlagen, man müsse ihn auf die Finanzlage aufmerksam machen.«
»Natürlich habe ich das vorgeschlagen. Allerdings schlug ich nicht vor, ihn in unsere Aufnahmepraxis einzuweihen«, gab der Dekan zurück.
»Gentlemen«, sagte der Obertutor, »die Panne ist nun mal passiert. Nachträgliche Diskussionen bringen uns auch nicht weiter. Wir sehen uns mit einem dringlichen Problem konfrontiert. Alte Fehler zu kritisieren, liegt nicht in unserem Interesse. Was das betrifft, sind wir alle schuldig. Wäre die Wahl Dr. Siblingtons zum Rektor nicht durch unsere Uneinigkeit verhindert worden, hätten wir die Ernennung Sir Godbers vermeiden können.«
Der Dekan trank seinen Kaffee aus. »Da ist etwas Wahres dran«, gab er zu, »und daraus
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