Schwanentanz
den Mut des Mannes herankommt, den du misshandelt hast. Dein Sohn untersteht dem Befehl dieses Mannes.“ Sie wandte sich ab und ließ ihren Blick über die anwesenden Krieger gleiten. „Habt ihr es alle gehört? Gebt acht, denn ich erkläre jeden Anwesenden zum Zeugen. Ich ernenne Brandon aus eurer Mitte zum ersten Lord unter meiner Herrschaft.“
Suzanna begann zu zittern, als die Männer niederknieten, ihre Fingerspitzen küssten und sie auf den Boden drückten, wie zum stillen Gruß an die Erde, unter der sie lebten. Sie erwischte sich dabei, die Geste nachzuahmen, ohne zu wissen, ob ihr dies erlaubt war, oder sie damit einen Frevel beging. Es war nicht von Bedeutung. Entscheidend war die Frage, warum Cara Brandon gerade jetzt im Rang steigen ließ. Sollte dies bedeuten, dass sie ihn nicht retten konnte? Adelte sie ihn als letzte Geste vor seinem Tod? Sie merkte erst, wie sehr sie seine Hand drückte, als er vor Schmerz leise ächzte.
Cara zog den Kopf des alten Alecs an den Haaren hoch, sodass er ihr ins Gesicht sehen musste. „Wie fühlt es sich an?“, fragte sie. „Zu wissen, dass das Leben deines Sohnes fortan in der Hand dieses Mannes liegt, den du töten wolltest?“
Suzanna hätte geglaubt, dass der Alte spätestens jetzt zusammenbrechen würde. Stattdessen spuckte er erneut, und diesmal traf er Cara ins Gesicht. „Mein zweiter Sohn ist vor vielen Jahren mit meiner Frau gestorben. Mein erster Sohn liegt oben im Blut, das schon kalt wird. Glaubst du, du könntest mir noch Angst machen, Feenschlampe?“
„Wie du willst.“
Suzanna entkam ein Schrei, als Cara ihren Dolch schwang. Die Klinge zerschnitt die Luft mit einem Zischen. Durch den Hals des Mannes glitt sie lautlos. Der alte Alec gab einen Laut des Erstaunens von sich, dann hörte man nur noch das Blut fließen, tropfen und in seinen Atemwegen gurgeln. Er keuchte und ein feiner Sprühnebel von Blut traf Cara, die kalt lächelte. Die Männer hielten ihn aufrecht, drehten ihn nun so, dass das Blut aus seiner aufgeschlitzten Kehle in die Silberschale rann. Cara kniete nieder. Ihre Magie erwachte nach wenigen unverständlichen Lauten. Die Luft im Keller zitterte. Das Blut füllte die Schale und begann sich darin zu drehen.
Suzanna verlor jegliches Zeitgefühl. Waren es wenige Augenblicke, in denen der alte Mann starb, oder dauerte es Stunden? Ob er Schmerzen litt? Ob sie etwas hätte tun müssen? Aber was nur? Es war alles so unwirklich! Der Geruch von Blut benebelte ihr Bewusstsein wie ein roter Dunst und sie bekam Angst, in Ohnmacht zu fallen. Sie hielt sich an Brandons Hand fest, senkte den Kopf, sodass ihr Haar das Gesicht verdeckte und niemand die Tränen bemerkte.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis die Männer den alten Alec wegtrugen. Ein knapper Blick in sein wächsernes Gesicht ließ keinen Zweifel. Er war tot. Suzanna spürte den Impuls zu beten, rang ihn aber nieder und wünschte dem alten, grausamen Mann, wenigstens im Tod Frieden zu finden. Caras Schale hätte vom Blut überlaufen müssen, doch sie stellte verwirrt fest, dass nur ein zäher Klecks einer weinroten Substanz über das Silber kroch und eine farblose Spur hinterließ. Wie eine Nacktschnecke. Cara, die lange Zeit mit geschlossenen Augen geschwiegen hatte, hielt die Hand in die Schale und das formlose Gebilde arbeitete sich an ihren Fingern entlang in die Handfläche. Dort rollte sich das Etwas aus Magie und Blut zusammen. Und dann … aß Cara es auf. Nein,sie aß es nicht, sie führte es an ihre Lippen und ließ es in ihren Mund kriechen. Anhand der Bewegungen ihres Kiefers sah man, dass sie es nicht kaute, sondern zwischen Gaumen und Zunge zerdrückte. Sie griff mit beiden Händen nach Brandons Kopf, zog ihn in die Aufrechte und presste ihre Lippen auf seine. Die Geräusche, die er von sich gab, waren zunächst abwehrend, doch schnell war sein Widerwille gebrochen. Er seufzte in den seltsamen Kuss hinein. Ein Faden Blut rann aus seinem Mundwinkel. Er ließ Suzannas Hand los und umfasste Caras Schultern. Er hielt sich an Cara fest. Er ließ sich von Cara retten.
Er gehörte ihr. Cara.
Es war zu viel. Der Gestank. Die Dunkelheit. Der Tod überall.
Suzanna konnte es nicht länger ertragen. Sie wollte es auch nicht. Weil sie sich zu hastig aufrichtete, knickte ihr Knie ein Stück ein, aber sie zerbiss den Schmerz zwischen den Zähnen. Sie lief aus dem Keller, die Treppen hinauf, stolperte über die zerschlagene Tür nach draußen. Die Luft war feucht und kühl und
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