Schwartz, S: Blutseelen 1: Amalia
geschenkt hatte, als er ihr nahe legte, zu fliehen.
Eine einzige Träne rann über seine Wange. Er würde niemals wieder gut machen können, was er eben getan hatte.
Amalia berührte den blauen Fleck an ihrem Hals und wunderte sich darüber. Aurelius hatte sie zu fest geküsst. Eigentlich albern, in ihrem Alter noch einen Knutschfleck zu haben, wie ein Teenager. Sogar seine Zahnabdrücke konnte sie schwach in der Verletzung fühlen.
„Was hast du dir dabei gedacht?“, fragte sie kopfschüttelnd und betrachtete ihn. Er trug eine historische Soldatenuniform aus der Zeit der Französischen Revolution. Seine Hand lag um ihre Hüfte, während sie auf das gut erhaltene Rokoko-Schloss zugingen. Die eindrucksvolle Fassade mit den vielen hohen Fenstern und dem schlanken Turm versetzte sie in eine andere Zeit. Warmes Licht strömte aus dem Inneren. „Nur weil das Thema dieser Fetischparty Historie und Monster ist, musst du keine Bissspuren auf mir hinterlassen.“
„Du bist einfach unwiderstehlich“, sagte er mit einem Lächeln. „Und die Accessoires von Grace stehen dir hervorragend. Besonders die grünen Ohrringe.“
Amalia schmiegte sich an ihn. Sie fühlte sich seltsam schwach, dabei hatte sie am Nachmittag eine volle Stunde geschlafen, ehe Grace zu ihr gekommen war, um ihr beim Anziehen zu helfen. Außerdem plagte sie das Gefühl, nicht richtig denken zu können. Als wäre da ein Rätsel, dessen Lösung offensichtlich vor ihr lag, aber irgendein böser Zauber verhinderte, dass sie die Lösung fand. Vermutlich war sie unterzuckert.
„Gibt es da drin auch Essen?“
„Sicher. Das Bankett ist erlesen.“
Hinter ihnen gingen Grace und Darion. Grace trug ein Kleid, das sie aussehen ließ wie eine spanische Königin. Sie hatte einen Fächer bei sich, der mit schwarzer Spitze verziert war. Ihre Frisur war ebenso kunstvoll wie die von Amalia, aber ihre Haare waren pompöser zurechtgemacht. Es fehlte nur noch, dass sie sich Schiffsminiaturen oder einen anderen Tand einflechten ließ, wie man es Marie Antoinette, der französischen Königin, nachgesagt hatte.
Amalia konnte es nicht genau begründen, aber seit sie Grace an diesem Abend gesehen hatte, war ihr die Frau zuwider. Dabei hatte Grace ihr nichts getan.
An Aurelius‘ Seite lief sie durch das hohe geöffnete Tor, hin zum Seiteneingang, der in den Gebäudeteil führte, der für die Party angemietet worden war. Es war ein seltsames Gefühl, den geschichtsträchtigen Weg zu gehen. Bereits 1755 war das Schlösschen als Sommersitz des Rats- und Kaufherrn Caspar Richter am Rande des Rosentals erbaut worden. Der Festsaal zeigte ein Deckengemälde von Adam Friedrich Oeser und war weit über Leipzig hinaus bekannt.
In der Vorhalle war eine Garderobe aufgebaut und Amalia gab ihre Jacke ab, die nicht zu dem Rest ihrer Gewandung passte. Aurelius, Darion und Grace trugen keine Jacken. Sie schienen trotz der kühlen Temperatur nicht zu frieren.
Sie steckte das Nummernkärtchen für ihren Bügel ein und sah sich in dem historischen Bauwerk um. Nicht nur die Bilder an den Wänden und die Ausstattung des Schlosses waren imposant, auch die Besucher taten ihr Übriges, dem Schloss ein Flair von Aristokratie und Glanz zu geben. Alle Menschen um sie herum waren auf düstere Weise schön und trugen eindrucksvolle Gewänder aus teuren Stoffen. Schmucksteine blitzten im Licht der Deckenleuchter.
Verstohlen musterte sie eine Gruppe von drei Frauen – sie alle trugen weiße Perücken und waren weiß geschminkt. Ihre Gesichter wirkten perfekt, die Augen schimmerten, wie Augen nicht schimmern durften. Vermutlich trugen sie reflektierende Kontaktlinsen. In ihren Händen wedelten Spitzenfächer. Sie waren einander zugewandt und unterhielten sich geziert mit hohen Stimmen. Ihre Körpersprache war arrogant, die Blicke überheblich.
„Ich fühle mich underdressed“, sagte sie leise zu Aurelius. „Selbst das Personal trägt barocke Livree.“
„Du bist der Star des Abends“, entgegnete Grace hinter ihr freundlich.
Amalia ärgerte sich, überhaupt von Grace gehört worden zu sein.
Einer der Kellner kam mit einem silbernen Tablett vorbei, auf dem mehrere Champagnergläser standen. Aurelius lehnte kopfschüttelnd ab, doch sie griff nach einem Glas und leerte den Sekt viel zu schnell, dabei ärgerte sie sich über sich selbst. Sie machte sich nichts aus den Veranstaltungen Neureicher, die sich für etwas Besseres hielten. Das Gefühl, fehl am Platz zu sein, wurde beinahe
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