Schwarz auf Rot
finde das sehr gut. Er hat eine Pause dringend nötig.«
»Ja, das hat er. Er steht in letzter Zeit unter enormem Druck. Aus vielerlei Gründen.«
»Dafür habe ich großes Verständnis. Schließlich sitzen Ihr Mann und ich im selben Boot. Ich bin auf ihn ang e wiesen, und selbstverständlich werde ich alles für ihn tun. Er ist ein ausgezeichneter Polizist. Ich schätze mich glücklich, ihn zum Partner zu haben.«
»Danke, Oberinspektor Chen. Es ist sehr nett, daß Sie das sagen.«
Anschließend bereute er seine gönnerhafte Beme r kung, die vermutlich ähnlich hohl geklungen hatte wie die Komplimente, die Parteisekretär Li verteilte. Kein Wunder, daß man in ihm den künftigen Parteisekretär sah. Er fragte sich, was er eigentlich hatte sagen wollen. Und was würde Peiqin von ihm denken?
Er braute sich einen Becher Kaffee, bevor er sich wi e der seiner Übersetzung zuwandte.
Später stellte er das Roast Beef und die Dampfbrö t chen in die Mikrowelle. Es war eine gute Zusammenste l lung. Das Roast Beef war auf westliche Weise zubereitet; in der traditionellen chinesischen Küche wurde Rin d fleisch in Sojasoße geschmort. Es war eine Vereinigung von Gegensätzen, wie yin und yang. Die neongrüne Dig i talanzeige auf der Mikrowelle zeigte drei Uhr, und ein scharfes Klingelsignal ertönte. In seinem Kopf löste di e ses Signal auf merkwürdige Weise einen neuen Geda n ken aus.
War es möglich, daß die plagiierten Teile in Yins R o man aus einem unveröffentlichten Manuskript stammten und sein Autor nicht mehr in der Lage war, sich dagegen zu wehren?
Diese Möglichkeit hatte er bislang noch nicht erw o gen, denn ihm war klar, daß Yin bis zur Publikation von Tod eines chinesischen Professors ein Niemand in der literarischen Welt gewesen war. Keiner würde ihr ein Manuskript zu lesen gegeben haben – keiner außer Yang. Und das unauffindbare englische Manuskript, das Zh u ang erwähnt hatte, könnte womöglich Yangs Version des Doktor Schiwago sein.
Falls Yang ihr tatsächlich das Manuskript überlassen hatte, würde sie das anderen gegenüber bestimmt nicht erwähnt haben. Das hätte ihr nur Schwierigkeiten eing e bracht. Sobald man in der Partei Wind davon bekommen hätte, wäre sie gezwungen worden, das Manuskript a b zugeben. Niemals hätte man etwas, das eine potentielle Bedrohung für das makellose Image des sozialistischen China darstellte, in so unzuverlässigen Händen belassen. Insbesondere kein englisches Manuskript, das offenbar für den ausländischen Markt bestimmt war. Außerdem hätten die Einkünfte aus so einer Publikation unang e nehme Nachfragen zur Folge gehabt. All das wußte er aus eigener Erfahrung. Auch er hatte bislang niemandem außer Yu von seinem derzeitigen Übersetzungsprojekt erzählt. Doch selbst ihm hatte er nicht gesagt, was genau er dabei verdiente. Wie würden andere darüber denken?
Yang konnte Yin weder ermorden noch verklagen.
Doch wer sonst könnte von der Existenz eines solchen Manuskripts gewußt haben? Yin hatte längst alle Verbi n dungen zu ihren Verwandten abgebrochen. Und was Freunde und Kollegen anbelangte, so war sie zu sehr Dissidentin, um einem von ihnen über den Weg zu tra u en.
Was aber war mit Yangs Seite? Er hatte bereits vor der Kulturrevolution mit dem Schreiben begonnen, vielleicht schon in den frühen Sechzigern. Vermutlich hatte er nie darüber gesprochen, aber es wäre denkbar, daß Verwan d te bei einem Besuch zufällig davon erfahren hatten, so wie Zhuang später im Wohnheim.
Die andere Möglichkeit war die Staatssicherheit. Sie konnt en von der Existenz des Manuskripts erfahren und beschlossen haben, die Dinge selbst in die Hand zu ne h men. Das war durchaus vorstellbar, zumal nachdem Yin begonnen hatte, im Ausland Kontakte zu knüpfen. Dazu würde auch passen, daß die Information über den neuen Paßantrag nicht an Yu weitergegeben worden war. Und natürlich mußten sie Yins Zimmer durchsuchen, bevor Yu es tat. Man mußte verhindern, daß er in diese Ric h tung dachte. Selbst Parteisekretär Lis Beteuerungen, daß es sich um keinen politischen Fall handelte, paßten zu dieser Hypothese.
Plötzlich fiel ihm auf, daß er das Roast Beef und die Dampfbrötchen nahezu aufgegessen hatte, ohne ihren Geschmack wahrzunehmen. Das in der Mikrowelle au f gewärmte Rindfleisch war noch saftig und zart, und wenn man es zwischen ein aufgeschnittenes Dampfbrö t chen legte, war es eine Art chinesisches Sandwich. Wir k lich nicht schlecht.
Weiße
Weitere Kostenlose Bücher