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Schwarz auf Rot

Schwarz auf Rot

Titel: Schwarz auf Rot Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Qiu Xiaolong
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letzten Gespräch hatte er sich ein Exemplar von Tod eines chinesischen Professors besorgt und, soviel es seine knappe Zeit erlaubte, darin gelesen. Peiqin hatte recht, der Roman war, was Stil und Inhalt anbelangte, ziemlich uneinheitlich. Streckenweise war der Kontrast so stark, daß er unmittelbar ins Auge sprang.
    »Ich glaube, Sie haben recht«, sagte er. »Yins Roman enthält Plagiate, und ihre Quellen waren wohl kaum Ze i tungen oder Bestseller, dazu ist die literarische Qualität der betreffenden Stellen zu hoch.«
    »Manche Abschnitte sind deutlich besser als andere«, bestätigte Peiqin. »Aber ich sehe keine Verbindung zw i schen Yins Roman und dem Mord.«
    »Ich auch nicht. Falls jemand – entweder der Verfa s ser des Buches, das sie plagiiert hat, oder ein Leser – i h ren Betrug entdeckt hat, könnte er damit an sie oder an die Medien herangetreten sein. Ich erinnere mich an e i nen ähnlichen Fall, wo der Kläger eine finanzielle En t schädigung eingeklagt hat. Aber aus einem Mord wäre kein Profit zu schlagen«, sagte Chen. »Ist Ihnen vielleicht noch etwas anderes aufgefallen, Peiqin?«
    »Nein, nichts weiter«, antwortete sie, »allenfalls eine Kleinigkeit. Wie Sie sicher von Yu wissen, war ich wä h rend der Schulzeit ein Bücherwurm. Ich habe also auch so manche Übersetzung gelesen. Wer genau hinsieht, dem fällt auf, daß sich Bücher, die ins Chinesische übe r setzt wurden, anders lesen als solche, die auf chinesisch geschrieben wurden. Linguistisch gesehen, meine ich.«
    »Das ist eine sehr interessante Beobachtung. Können Sie das noch genauer ausführen, Peiqin?«
    »In einer Sprache gibt es gewisse Regeln für den Sat z bau, die in der anderen so nicht gelten. Auch die Wor t wahl ist anders. Chinesische Schriftsteller verwenden zum Beispiel kaum das Pronomen ›es‹, und ein erfahr e ner Übersetzer wie Yang wäre sich dessen bewußt. Aber dritt-oder viertklassige Übersetzer merken das nicht; in ihren Texten wimmelt es daher von sonderbaren Form u lierungen. Die Bedeutung mag stimmen, aber die Sätze klingen einfach nicht chinesisch.«
    »Sie haben recht. Manche Abschnitte sind holperig, das war auch mein Eindruck. Ich bin dem allerdings nicht so gründlich nachgegangen wie Sie.«
    »Noch ein anderes Beispiel. Vor zehn Jahren war der Begriff ›privacy‹ im Chinesischen so gut wie nicht im G e brauch. Wenn man überhaupt von Privatsphäre sprach, dann hatte das einen negativen Beigeschmack, gemeint war so etwas wie unanständige ›schlecht‹ oder ›unfähig zu Offenheit und Redlichkeit ‹ Aber in Tod eines chines i schen Professors hat Yin das Wort mit positiver Konn o tation verwendet, so wie es heute unter modebewußten jungen Leuten gebraucht wird.«
    »Ihr Englisch ist wirklich hervorragend, Peiqin«, sagte er. »Auch heute verwenden manche Leute das Wort u n gern, weil ihm noch immer etwas Negatives anhaftet.«
    »Lachen Sie mich nicht aus, Oberinspektor Chen. Ich muß Qinqin doch immer bei den Aufgaben helfen, und erst vor ein paar Wochen hat er mich gefragt, was ›priv a cy‹ auf chinesisch heißt.«
    »Sie sind eine gute Beobachterin, Peiqin. Ich selbst habe schon viel übersetzt, aber nie auf solche linguist i schen Feinheiten geachtet.«
    »Sie müssen mir verzeihen. Das ist ja wirklich, als wollte der Lehrling dem Meister einen Ratschlag erteilen. Ich weiß, daß Sie viele Übersetzungen gemacht haben. Manche Abschnitte in Tod eines chinesischen Professors lesen sich wirklich wie eine allzu wörtliche Überse t zung.«
    »Dann meinen Sie also, Yin könnte einen englischen Text für ihren Roman verwendet haben, den sie selbst übersetzt hat?«
    »Das wäre doch eine Möglichkeit, oder?«
    Es wäre eine Möglichkeit. Inzwischen waren viele englische Bücher über die Kulturrevolution erschienen, und als Englischlehrerin wären Yin sicherlich einige d a von bekannt gewesen. Doch Tod eines chinesischen Pr o fessors wurde ja auch ins Englische übersetzt; sie hätte also mit Entdeckung rechnen müssen.
    Vielleicht ging es Peiqin ja wie ihm; sie konzentrierte sich zu sehr auf jene Aspekte des Falls, zu denen sie e t was beitragen konnte, und überschätzte daher ihre Ei n drücke bei der Lektüre. Außerdem tat sie das alles für ihren Mann, der mit einem schwierigen Fall ganz auf sich allein gestellt war.
    Dann ließ sich Chen zu einer spontanen Äußerung hi n reißen. »Yu hat mir erzählt, daß Sie heute morgen ein Familienfrühstück im Alten Halbplatz hatten. Ich

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