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Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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ergreifenden Naturschau-
    spiel zusammenbrach, und sank dann bewußtlos in Harrys
    schützende Arme.
    Das junge Mädchen, deren ganzes früheres Leben in den
    dunklen Schächten des Erdinnern verlaufen war, hatte nun
    zum ersten Mal gesehen, was das ganze Universum zusam-
    mensetzt und was der Weltenschöpfer und der Mensch aus
    der Erde gemacht haben. Von der Stadt und der Landschaft
    ausgehend, hatten ihre Blicke zum ersten Mal die Unend-
    lichkeit des Meeres und den grenzenlosen Himmelsraum
    durchmessen.
    18. KAPITEL
    Vom Lomond-See zum Katrine-See
    Harry stieg, noch immer Nell im Arm tragend und gefolgt
    von James Starr und Jack Ryan, wieder die Abhänge des Ar-
    thur’s Seat hinab. Nach einigen Stunden der Ruhe und nach
    Einnahme eines stärkenden Frühstücks in Lambrets Hotel
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    gedachte man den Ausflug durch eine Spazierfahrt durchs
    Land der Seen zu vervollständigen.
    Nell sah sich wieder im Besitz ihrer Kräfte. Jetzt konnten
    sich ihre Augen ohne Schaden weit dem Licht öffnen und
    ihre Lungen in tiefen Atemzügen die belebende, heilsame
    Luft einsaugen. Das Grün der Bäume, die Farbenpracht der
    Pflanzen, der Azur des Himmels, die ganze Tonleiter der
    Farben genoß sie jetzt mit seligem Entzücken.
    Der Bahnzug, den sie von der General Railway Station
    aus benutzten, führte Nell und ihre Freunde nach Glasgow.
    Dort konnten sie von der letzten über den Clyde gespann-
    ten Brücke noch die auffallende, meerähnliche Bewegung
    des Flusses bewundern. Dann verbrachten sie die Nacht in
    Comries Royal Hotel.
    Am folgenden Morgen entführte sie der Expreßzug der
    ›Edinburgh and Glasgow Railway‹ über Dumbarton und
    Balloch in kurzer Zeit zum südlichen Ende des Lomond-
    Sees.
    »Das ist das Land Rob Roys und Fergus MacGregors!«
    sagte James Starr, »die von Walter Scott so poetisch gefeierte
    Gegend. Du kennst diese Landschaften noch nicht, Jack?«
    »Nur aus so manchen Liedern, Mr. Starr«, antwortete
    Jack Ryan, »und wenn ein Land so viel besungen wird, muß
    es wohl schön sein.«
    »Wahrhaftig, das ist es«, versicherte der Ingenieur, »und
    unsere liebe Nell wird von hier die angenehmste Erinne-
    rung mit nach Hause nehmen.«
    »Mit einem Führer wie Sie, Mr. Starr«, bemerkte Harry,
    — 236 —
    »winkt uns ein doppelter Vorteil, denn Sie werden uns seine
    Geschichte erzählen, während wir das Land betrachten.«
    »Gern, Harry«, versprach der Ingenieur, »so weit mein
    Gedächtnis reicht, aber unter der Bedingung, daß der lus-
    tige Jack mir zu Hilfe kommt. Ermüde ich beim Erzählen,
    dann muß er dafür singen.«
    »Das sollen Sie mir nicht zweimal zu sagen brauchen«,
    versetzte Jack und schmetterte einen freudigen Ton heraus,
    als sollte sein Kehlkopf das dreigestrichene A produzieren.
    Die Bahnlinie von Glasgow nach Balloch, zwischen der
    Haupthandelsstadt des Landes und dem Südende des Lo-
    mond-Sees, mißt nur etwa 20 Meilen.
    Der Zug passierte Dumbarton, eine königliche ›Burg‹
    und Hauptort der Grafschaft, dessen einem Artikel der
    Union gemäß stets befestigtes Schloß eine höchst pittoreske
    Lage auf den Gipfeln zweier Basaltfelsen zeigt.
    Dumbarton liegt am Zusammenfluß von Clyde und Le-
    ven. Hier erinnerte James Starr an verschiedene Ereignisse
    aus der abenteuerlichen Geschichte Maria Stuarts. Von die-
    ser Burg aus reiste sie ab, um sich mit Franz II. zu vermäh-
    len und Königin Frankreichs zu werden. Hier gedachte im
    Jahr 1815 der englische Minister Napoleon zu internieren;
    zuletzt erhielt dafür aber die Insel Helena den Vorzug, und
    deshalb starb, sehr zum Vorteil seines legendenhaften An-
    denkens, der Gefangene Englands auf jenem einsamen Fel-
    sen im Atlantik.
    Bald hielt der Zug in Balloch, nahe einer hölzernen Ver-
    pfählung an, die zum Niveau des Sees hinabführte.
    — 237 —
    Dort wartete ein Dampfboot, die ›Sinclair‹, auf die Tou-
    risten, welche die schönen Seen besuchen. Nell und ihre
    Begleiter schifften sich ebenfalls ein und versahen sich mit
    Billetts bis Inversnaid, am nördlichen Ende des Lomond.
    Der Tag begann mit schönem Sonnenschein, der heute
    die britannischen Nebel, die ihn so oft verschleiern, sieg-
    reich verdrängte. Kein Detail der Landschaft, die sich hier
    bei einer Fahrt von 30 Meilen entrollt, konnte dem Auge
    der Passagiere der ›Sinclair‹ entgehen. Nell hatte mit James
    Starr und Harry auf dem Hinterdeck Platz genommen und
    erfreute sich empfänglichen Sinnes an dem hochpoetischen
    Reiz, mit dem diese

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