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Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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»Sieh nur, wie stolz die-
    ser Gipfel aus dem Korb von Eichen, Birken und Lärchen
    emporstrebt, der seinen Fuß umspannt. Von ihm aus über-
    blickt man zwei Drittel unseres alten Kaledoniens. Hier an
    der Ostseite des Sees pflegte MacGregor gewöhnlich zu woh-
    nen. Unfern davon haben die erbitterten Kämpfe zwischen
    den Jakobitern und Hannoveranern die wüsten Schluchten
    manchmal mit Blut gedüngt. Dort steigt in schönen Näch-
    ten der bleiche Mond auf, der in den alten Sagen ›MacFarla-
    nes Laterne‹ genannt wird. Hier ruft das Echo noch manch-
    mal die unvergänglichen Namen Rob Roys und MacGregor
    Campbells!«
    Der Ben Lomond, die letzte Spitze der Grampian-Berge,
    verdient es allerdings, von dem großen schottischen Ro-
    mandichter besungen worden zu sein. Wohl gibt es, wie der
    Ingenieur bemerkte, weit höhere Berge, deren Gipfel der
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    ewige Schnee bedeckt, einen poetischeren aber schwerlich
    in irgendeinem Winkel der Welt.
    »Und«, fügte er hinzu, »wenn ich dann bedenke, daß die-
    ser Ben Lomond ganz und gar das Eigentum des Herzogs
    von Montrose ist! Seine Gnaden besitzt einen ganzen Berg,
    wie ein Londoner Bürger ein kleines Grasfleckchen hinter
    dem Haus!«
    Inzwischen langte die ›Sinclair‹ bei dem Dorf Tarbet, am
    entgegengesetzten Ufer des Sees an, wo sie die Passagiere
    absetzte, die nach Inverary gehen wollten. Von hier aus prä-
    sentierte sich der Ben Lomond in seiner ganzen Schönheit.
    Seine von den Betten vieler Wildbäche durchfurchten Sei-
    ten erglänzten wie schmelzendes Silber.
    Je weiter die ›Sinclair‹ am Fuß des Berges dahinglitt,
    desto wildromantischer wurde das Land. Nur hier und da
    standen noch einzelne jener Weiden, deren dünnste Zweige
    früher dazu benutzt wurden, geringere Leute daran aufzu-
    hängen.
    »Um Hanf zu sparen«, meinte James Starr.
    Nach Norden zu verengte sich der See jetzt noch mehr.
    Die Berge an seiner Seite rückten näher zusammen. Das
    Dampfboot glitt noch an einigen Inseln und Eilanden, wie
    Inveruglas, Eilad-Whou, vorüber, bei welch letzterem noch
    die Überbleibsel einer ehemaligen Veste MacFarlanes zu se-
    hen waren. Endlich liefen die beiden Ufer zusammen, und
    die ›Sinclair‹ hielt an der Station Inverslaid.
    Während der Zubereitung des Frühstücks besuchten
    Nell und ihre Begleiter in der Nähe des Landungsplatzes ei-
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    nen Bergstrom, der sich aus beträchtlicher Höhe in den See
    hinabstürzte. Er schien wirklich zum besonderen Ergötzen
    der Touristen an diese Stelle verlegt zu sein. Eine zitternde,
    in Wasserstaub halb verhüllte Brücke spannte sich über ihn.
    Von hier aus schweifte der Blick über einen großen Teil des
    Lomond-Sees, auf dem die wieder abgefahrene ›Sinclair‹
    nur einem schwarzen Pünktchen glich.
    Nach eingenommenem Frühstück wollte man sich zum
    Katrine-See begeben. Mehrere Wagen mit dem Geschlechts-
    wappen der Familie Breadalbane – eine Familie, die in Rob
    Roys Geschichte häufig erwähnt wird – standen zur Verfü-
    gung der Reisenden und boten ihnen alle Bequemlichkei-
    ten, durch die sich das schottische Fuhrwesen im allgemei-
    nen auszeichnet.
    Harry verschaffte Nell, wie es dort Sitte war, einen Platz
    auf dem Oberdeck; er und seine Begleiter nahmen neben
    ihr Platz. Ein stolzer Kutscher in roter Livree faßte die Zügel
    seines Viergespanns in der linken Hand zusammen, und das
    Gefährt setzte sich, dem gewundenen Lauf des erwähnten
    Stroms folgend, bergaufwärts in Bewegung.
    Die Straße stieg sehr steil empor, wobei sich die For-
    men der benachbarten Berggipfel allmählich zu verändern
    schienen. Man glaubte die Gebirgskette des jenseitigen See-
    ufers und die Gipfel des Arroquhar, der das Tal von Inveru-
    glas beherrscht, wirklich wachsen zu sehen. Zur Linken
    ragte der Ben Lomond zum Himmel auf und zeigte dabei
    die schroffen Abhänge seiner nördlichen Seite.
    Die Landschaft zwischen dem Lomond- und dem Ka-

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    trine-See trug einen ausgeprägt wilden Charakter. Das Tal,
    in dem sie hinfuhren, begann mit engen Schluchten, die
    sich bis zum Glen (Talmulde) von Aberfoyle erstreckten.
    Dieser Name erinnerte das junge Mädchen schmerzlich an
    die tiefen Abgründe voller Grauen und Schrecken, in denen
    sie ihre Kindheit verbracht hatte. James Starr bemühte sich
    auch, ihre Gedanken durch allerlei Erzählungen abzulen-
    ken.Diese Gegend war ja so reich an Sagen. An den Ufern des
    kleinen Sees von Ard spielten sich die Hauptereignisse

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