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Schwarz-Indien

Schwarz-Indien

Titel: Schwarz-Indien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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sollte die schöne Frau auf den
    Wellen des Katrine-Sees nicht ebenso deutlich erscheinen
    wie die Bergmännchen der Kohlengrube manchmal auf der
    stillen Fläche des Malcolm-Sees?«
    Plötzlich ertönten vom Heck der ›Rob Roy‹ die hellen
    Töne eines Dudelsacks. Dort ließ sich ein Highlander in
    seiner malerischen Nationaltracht hören auf der ›Bag-pipe‹
    mit drei Schnarrpfeifen, deren größte den Ton g, die zweite
    h und die dritte die Oktave der ersten angab. Die Flöten-
    pfeife mit acht Löchern gab die Tonleiter vom großen G an
    bis zu dessen Oktave.
    Der Highlander spielte ein einfaches, naives Volkslied-
    chen. Man möchte glauben, daß diese Melodien überhaupt
    von niemand komponiert, sondern nur aus einer Nachah-
    mung des Rauschens der Winde, des Murmelns der Ge-
    wässer und des Säuselns der Blätter entstanden sind. Der
    Refrain des Lieds nur, der in gewissen Abständen wieder-
    kehrte, hatte eine sonderbare Klangfärbung. Er bestand
    aus drei Teilen von je zwei Takten, und aus einem Teil von
    drei Takten. Den Gesängen der alten Zeit widersprechend,
    bewegte er sich in einer Dur-Tonart, und lautete, in jener

    — 249 —
    Schrift wiedergegeben, die nicht Notenzeichen, sondern die
    Intervalle der Töne bietet, folgendermaßen:

    Jetzt blühte Jack Ryans Weizen. Er kannte das Lied von
    den schottischen Seen, und unter der Dudelsackbegleitung
    des Highlanders sang er mit klarer Stimme einen Lobge-
    sang der poetischen Legenden des alten Kaledoniens.
    Ihr schönen Seen mit ruh’gen Wogen,
    O laßt ihn nie verweh’n,
    Den Sagenkreis um euch gezogen
    Ihr schönen Schottlandsseen!
    Noch zeugt die Spur an eurer Küste
    Von manchem Heldensohn,
    Den uns’res Walter Leier grüßte
    Mit ihrem reinsten Ton.
    Hier mischte seine Zaubermahle
    Der Hexen düst’rer Chor,
    Wo Fingal’s Schatten noch, der fahle,
    Huscht sausend über’s Moor.
    — 250 —
    Hier tanzen auf den weichen Matten
    Die Nixen ihren Reihn;
    Dort schauen durch den tiefen Schatten
    Die Puritaner d’rein.
    Und zwischen wilden Felsenschluchten
    Erzählt’s der Abendwind,
    Wie Waverley nach euren Buchten
    Entführt MacIvors Kind.
    Die Wasserkön’gin kommt geflogen
    Auf ihrem Zelter stolz;
    Diana lauscht, wie Rob Roys Bogen
    Den Pfeil schnellt durch das Holz.
    Und hallen nicht die Kriegeslieder
    Von Fergus’ Mannen nach,
    Und rufen aus den Bergen wieder
    Der Highlands Echo wach?
    Wie weit von euch, ihr Wunderseen,
    Das Schicksal uns verschlägt,
    Das Bild wird nie in uns vergehen,
    Das hier sich eingeprägt.
    O weilet doch, ihr Traumgestalten
    Aus einer schönern Zeit! –
    Dir, Kaledonien, dem alten,
    Bleibt unser Herz geweiht!
    — 251 —
    Ihr schönen Seen mit ruh’gen Wogen,
    O laßt ihn nie verweh’n,
    Den Sagenkreis um euch gezogen,
    Ihr schönen Schottlandsseen!
    Es war jetzt 3 Uhr nachmittags. Die gleichmäßiger ver-
    laufende Ostküste des Katrine-Sees hob sich deutlich gegen
    den Hintergrund mit dem Ben An und dem Ben Venue ab.
    In einer Entfernung von einer halben Meile glitzerte das
    kleine Hafenbecken, in dem die ›Rob Roy‹ die über Callan-
    der nach Stirling gehenden Passagiere absetzen sollte.
    Nell fühlte sich durch die unablässige Aufregung er-
    schöpft. »Mein Gott! Oh, mein Gott!« Das waren die ein-
    zigen Worte, die über ihre Lippen kamen, wenn sie einen
    neuen Gegenstand zu Gesicht bekam, der ihre Bewunde-
    rung erregte. Sie benötigte unbedingt einige Stunden Ruhe,
    wäre es auch nur, um die Eindrücke von so viel Niegesehe-
    nem sich besser in ihrem Gedächtnis fixieren zu lassen.
    Jetzt hatte Harry ihre Hand ergriffen und sah dem jun-
    gen Mädchen tief erregt in die Augen.
    »Nell, meine liebe Nell«, begann er, »bald werden wir
    nun in unser finsteres Kohlenbergwerk zurückgekehrt sein!
    Wirst du dort nichts von dem schmerzlich vermissen, was
    du während dieses kurzen Verweilens auf der Oberwelt
    kennengelernt hast?«
    »O nein, Harry«, antwortete das junge Mädchen. »Ich
    werde mich daran erinnern, das ist alles! Aber ich kehre
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    beglückt und zufrieden mit dir in unsere geliebte Kohlen-
    grube zurück.«
    »Nell«, fragte Harry weiter, wobei seine Stimme ver-
    geblich die Erregung seines Innern zu verbergen suchte,
    »wünschtest du, daß ein engeres, geheiligtes Band vor Gott
    und den Menschen uns verbinde? Möchtest du meine Frau
    werden?«
    »Ja, Harry, ja«, erwiderte Nell und sah ihn mit ihren kla-
    ren, offenen Augen an, ich will es so gern, wenn du glaubst,
    daß ich

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