Schwarz-Indien
selbst. Ihr ganzes Wesen bezeugte,
daß sie die Befürchtungen ihrer Adoptiveltern teilte. Ihr
betrübtes Gesicht verriet die Spuren der Kämpfe in ihrem
Innern.
Zunächst wurde nun beschlossen, daß James Starr, Si-
mon und Harry Ford sich zu der entstandenen Öffnung
im Seegrund begeben und versuchen wollten, ihre Ursache
aufzuspüren. Sie teilten ihr Vorhaben niemand mit. Wer
nicht mit allen vorhergehenden Tatsachen ebenso vertraut
war wie sie, hätte ihre Vermutungen eben für ganz unge-
reimt halten müssen.
Einige Tage später bestiegen alle drei ein leichtes Boot,
das Harry führte, und untersuchten die natürlichen Pfeiler
der Gesteinwölbung, in der an der Oberfläche das Bett des
Katrine-Sees ausgehöhlt war.
Sie fanden ihre Vermutung bestätigt. Sie zeigten sich
durch vorgenommene Sprengungen erschüttert, von denen
noch einzelne schwarze Rückstände übrig waren.
An allem sah man, daß hier ein Mensch nach reiflicher
Erwägung der Umstände zu Werke gegangen sei.
— 261 —
»Hier schwindet jeder Zweifel«, sagte James Starr. »Wer
könnte die Folgen voraussagen, wenn dieser Durchbruch
anstelle eines kleinen Sees dem Wasser eines Meeres den
Zugang eröffnet hätte?«
»Jawohl«, rief der alte Obersteiger mit einem gewissen
Stolz, »es hätte auch nichts Geringeres als eines Meeres be-
durft, um unser Aberfoyle durch Wasser zu vernichten!
Doch noch einmal, wer in aller Welt kann ein Interesse da-
ran haben, den Betrieb des Kohlenbergwerks zu stören oder
ganz in Frage zu stellen?«
»Ja, es ist wirklich unbegreiflich«, erwiderte James
Starr. »Hier handelt es sich offenbar nicht um eine Bande
von Bösewichten, die von der sie verbergenden Höhle aus
die Umgebung durchstreifen, um zu stehlen und zu plün-
dern. Solche Schandtaten wären im Lauf von drei Jahren
nicht unentdeckt geblieben. Auch von Falschmünzern oder
Schmugglern, wie ich zuweilen dachte, kann nicht die Rede
sein; die können doch nur ihre Werkzeuge oder die ein-
geschmuggelten Güter in irgendeinem versteckten Win-
kel dieses Labyrinths verbergen; man fälscht aber niemals
Münzen, noch schmuggelt einer, um hier nur zu verwah-
ren, was er dabei erreichte. Und dennoch ist klar, daß ir-
gendein unversöhnlicher Feind New Aberfoyle den Unter-
gang geschworen hat, und daß Gott weiß, welches Interesse
ihn antreibt, kein Mittel unversucht zu lassen, um seine Ra-
che gegen uns zu kühlen. Offenbar ist er zu schwach, uns
offen entgegenzutreten; so brütet er seine teuflischen Pläne
im verborgenen, doch macht ihn die Intelligenz, die ihm zu
— 262 —
Gebote steht, zu einem sehr zu fürchtenden Gegner. Dabei,
meine Freunde, kennt er alle Geheimnisse unserer Minen
besser als wir selbst, sonst hätte er unseren Nachforschun-
gen unmöglich so lange schon entgehen können. Das ist
ein Mann von Fach, Simon, und dazu keiner der dümms-
ten. Was wir von seiner Art und Weise, sein Ziel zu errei-
chen, bis jetzt erfahren haben, liefert dafür den deutlichsten
Beweis. Denkt einmal nach! Hattet Ihr jemals einen per-
sönlichen Feind, auf den Euer Verdacht hinweisen könnte?
Überlegt gut, es gibt eine Monomanie des Hasses, die keine
noch so lange Zeit zu verlöschen vermag. Sucht in Euerm
Leben so weit zurück wie möglich. Alles, was hier vorgeht,
erscheint als das Werk gefühllosen, doch geduldigen Wahn-
sinns und könnte eine Folge irgendwelcher Vorkommnisse
in Eurer frühesten Lebenszeit sein.«
Simon Ford antwortete nicht sofort. Man erkannte, daß
der ehrenwerte Obersteiger alle seine Erinnerungen durch-
flog, bevor er eine Erklärung abgab. Endlich erhob er wie-
der den Kopf.
»Nun, bei Gott«, sagte er, »weder ich noch Madge haben
jemals irgend jemandem Böses getan. Ich glaube nicht, daß
wir einen einzigen Feind haben könnten.«
»Ach«, rief der Ingenieur, »wenn doch Nell endlich spre-
chen wollte!«
»Mr. Starr«, antwortete Harry, »und auch Sie, Vater, ich
bitte Sie herzlich, unsere Untersuchungen und Gespräche
noch geheimzuhalten. Fragen Sie nur meine arme Nell jetzt
nicht. Ich weiß, wie ängstlich erregt sie ohnehin schon ist,
— 263 —
und daß ihr Herz nur mühsam ein drückendes Geheimnis
bewahrt. Wenn sie schweigt, hat sie entweder nichts zu sa-
gen oder sie glaubt es nicht zu dürfen. Wir haben keinen
Grund, an ihrer Liebe zu uns, gewiß zu uns allen, zu zwei-
feln! Sobald sie mir später mitteilt, was sie jetzt in sich ver-
schließt,
Weitere Kostenlose Bücher