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Schwarz

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Titel: Schwarz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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konnte. In Winchester durften die Schüler weder Tabak oder Streichhölzer noch Geld besitzen, somit bestand eine große Nachfragenach originellen Verstecken. In der Schulzeit hatte Ewan meist Pfeifentabak in dem Ball aufbewahrt, doch jetzt fand sich in seinem hohlen Inneren ein Kingston-Speicherstick mit vier GB.
    Es dauerte enervierend lange, bis der Computer hochgefahren war, Kara konnte seine Ungeduld kaum bezähmen. Dann schob er den Stick endlich in den USB-Port und öffnete das Dokument mit dem Titel »Widowmaker«. Witwenmacher, Kara übersetzte das Wort automatisch ins Finnische und überlegte zum hundertsten Male, ob Finnisch bis ins Grab seine Muttersprache bleiben würde, obwohl er nur die ersten zehn Jahre seines Lebens ständig in dem Land gelebt hatte. Das waren allerdings seine einzigen normalen Jahre gewesen.
    Schnell überflog Kara die Datei und war begeistert. Ewan hatte über seine Ermittlungen Buch geführt. Die erste Eintragung war vor einem Jahr datiert. Damals hatte Ewan einen Hinweis bekommen, dass der Witwenmacher Ruslan Sokolow das für Marschflugkörper entwickelte, hochmoderne Steuerungssystem
Globeguide
in den Sudan geschmuggelt hatte, für den ein von UNO und EU verhängtes Waffenembargo galt. Überrascht las Kara, dass Globeguide von einem finnischen Unternehmen hergestellt wurde und der Hinweis auf den Schmuggel von Kati Soisalo, der Juristin dieses Unternehmens, stammte.
    In den folgenden Aufzeichnungen beschrieb Ewan detailliert, wie es ihm gelungen war, eine Bestätigung dafür zu finden, dass Kati Soisalos Hinweis der Wahrheit entsprach. Er hatte beim sudanesischen Zoll die Dokumente für den Schmuggel von Globeguide entdeckt: einen gefälschten Frachtbrief sowie eine vom sudanesischen Staat ausgestellte Endverbleibserklärung, derzufolge das Steuerungssystem ein landwirtschaftliches Gerät war.
    Auch die nächste Enthüllung stammte von einer Frau: Katarina Kraus, Sicherheitsberaterin bei der Firma Security and Defence Corp., hatte Verbindung zu Ewan aufgenommen und ihm berichtet, wie der Witwenmacher vorging. Im Laufe der nächsten Wochen hatte Ewan weitere geschmuggelte Raketenteile aufgespürt und sich Gewissheit verschafft, dass der Witwenmacher mehrere Marschflugkörper in den Sudan gebracht hatte.
    In Gedanken versunken ging Kara zum Kühlschrank, goss sich einhalbes Glas Linie-Aquavit aus einem Shop auf dem Wiener Flughafen ein und verzog das Gesicht, als er den Geschmack von Anis, Kümmel und Eiche spürte. Eiskalt schmeckte ihm der Linie am besten. Der berüchtigte Waffenhändler Ruslan Sokolow hatte sich hochmoderne Marschflugkörper beschafft. Ewan war also einem wirklich schweren Verbrechen auf der Spur gewesen, und es schien sonnenklar zu sein, dass ihm die Untersuchung der Raketengeschäfte zum Verhängnis geworden war. Kara kehrte zum Computer zurück.
    Ewan schrieb, er habe wochenlang versucht, sich mit dem Witwenmacher zu treffen. Dabei wollte er klären, in wessen Auftrag der Todeshändler arbeitete und wem die Marschflugkörper letztlich verkauft wurden. Je näher Kara dem Ende der Aufzeichnungen kam, umso mehr stieg bei ihm die Spannung. Gestern, nur wenige Augenblicke vor seinem Tod, hatte Ewan notiert, es sei ihm nun endlich gelungen, eine Begegnung mit dem Witwenmacher zu vereinbaren. Er dankte Katarina Kraus und ihrem Kunden Herrn Hofman ausdrücklich für ihren Beitrag zum Zustandekommen dieses Treffens. Am Schluss seiner Eintragungen erörterte Ewan die Frage, für wen der Witwenmacher die Raketen wohl beschafft hatte: für Nordkorea, den Iran, den Irak, Pakistan, Syrien, den Sudan …
    Am Ende des Dokuments fand sich eine kurze Nachricht: »Leo, ich schreibe das in aller Eile und habe offen gesagt verdammt große Angst. Jemand versucht mich umzubringen. Du hilfst Helen doch bei den praktischen Dingen, sollte mir etwas zustoßen. Schau zuweilen nach Oliver und dem neuen Familienmitglied, wenn Du Zeit hast. Und finde heraus, worum es hier geht.«
    Erst als der Text vor ihm verschwamm, begriff Kara, dass seine Augen feucht geworden waren. Ob der Witwenmacher wohl wusste, wie Ewan Taylor aussah? Wenn Sokolow sich nicht die Mühe gemacht hatte, das vor dem Treffen zu klären, dann könnte jeder Beliebige in seiner Villa auftauchen und sich als Taylor ausgeben. Diese Gelegenheit war zu verlockend, die konnte man nicht ungenutzt lassen. Kara vermutete, dass er schon bald in noch größere Schwierigkeiten geraten würde.
    ***
    Blut tropfte von der Fingerspitze

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