Schwarz
das indische Prithvi. Und noch viele andere Staaten entwickeln ihren eigenen Raketenschild. Neben uns haben auch China und Russland bereits die Zerstörung eines Satelliten mit Raketen getestet, in dieser Phase schießt man zum Glück noch die eigenen Satelliten ab.«
»Und alles fing damit an, dass die USA 2001 den ABM-Vertrag aufgekündigt haben. Der hätte ein solches Wettrüsten verhindert«, entgegnete der Generalsekretär und bereute seine Worte sofort. Schließlich musste er sich wie ein Diplomat verhalten, immer und überall.
»Entschuldigung, das war unsachlich«, fuhr er fort. »Aber nun sagdoch mal ganz inoffiziell, wer deiner Meinung nach hinter der Erpressung steckt. Der CIA muss doch irgendjemanden verdächtigen.«
»Für uns ist es wichtiger, in Erfahrung zu bringen, wer die Rakete entwickelt und gebaut hat«, erwiderte die US-Außenministerin und lächelte dabei unwillkürlich, wurde aber sofort wieder ernst. »Wenn die Erpressung gelingt, hätten zwar nur die ärmsten fünfzig Staaten der Welt direkt einen Nutzen, aber letztlich wohl alle radikalen Kräfte. Zumindest, wenn Informationen über das Ultimatum an die Öffentlichkeit gelangen würden.«
Der Generalsekretär war anscheinend von der Antwort enttäuscht. »Dies ist eine völlig neuartige Bedrohung, ich fürchte, dass es sich um den Beginn von etwas ganz Neuem handelt. Die Entwicklungsländer rebellieren jetzt erstmals gemeinsam gegen die Unterdrückung durch die westlichen Staaten. Was hat das für Folgen? Entstehen in den Entwicklungsländern neue Allianzen, die dem Westen feindlich gesinnt sind? Die ärmsten Staaten waren bisher nicht imstande, sich gegen den Westen aufzulehnen, sie haben es nicht gewagt … und hatten keine Mittel und Wege. Und jetzt? Wird jetzt das Spiel eröffnet? Führt das zum Rohstoffmangel und zu gewaltigen Problemen für die Industrie in den westlichen Ländern …«
Die besorgt aussehende Außenministerin schwieg.
»Sollten wir in Erwägung ziehen, auf das Ultimatum einzugehen?«, fuhr der Generalsekretär fort. »Der Schuldenerlass wäre eine glänzende PR für die UNO und den Westen und auch ziemlich billig. Von den fünfzig ärmsten Staaten der Welt dürften künftig sowieso keine großen Kreditrückzahlungen zu erwarten sein.«
»Vergiss dabei nicht, dass sie auch einhundertfünfzig Milliarden Dollar zusätzliche Kredite verlangen, und das ist viel«, erwiderte die Außenministerin und senkte dann die Stimme. »Du glaubst es vielleicht nicht, aber in diesem Einzelfall würden wir uns auf die Erpressung gern einlassen, wenn uns nur irgendetwas einfiele, wie man die Erpresser daran hindern könnte, ihren ganzen Plan an die Öffentlichkeit zu bringen, nachdem sie das Gewünschte erreicht haben. Wenn wir auf die Forderungen der Terroristen eingehen, würde das auch andere ermutigen, etwas Ähnliches zu versuchen.«
»Der Gedanke, den ärmsten Staaten der Welt die Schulden zu erlassen, gefällt den USA, das hört man gern. Wir können ihn ja dann umsetzen, wenn die Bedrohung durch die Raketen beseitigt ist«, sagte der Generalsekretär, es sollte freundlich klingen, aber das gelang ihm nicht.
Die Außenministerin stand auf und strich ihren Rock gerade.
Der Generalsekretär erschrak. »Wir haben keine Möglichkeit, uns gegen Raketenanschläge zu schützen, die UNO und ihre Unterorganisationen besitzen überall in Europa Büros: in Madrid, Paris, London, Bern, Wien, Rom … Der IWF und auch die Weltbank haben in Europa Filialen. Die kann man natürlich alle an dem Tag schließen, für den der Raketenanschlag angedrohnt wird, aber in dem Fall werden die Terroristen den Zeitpunkt des Anschlags einfach verschieben. Was tun wir dann, schließen wir all unsere Büros auch am nächsten Tag, am übernächsten …«
»Das ist offen gesagt euer Problem«, stellte die Außenministerin ganz gelassen fest.
***
Abu Baabas stand in der Sahel-Savanne am Rande des Dorfes Al Wusan dreihundert Kilometer südlich von Khartoum und zitterte vor Kälte. Er wartete. Hier gab es nur verdorrtes Gras, rötlichen Sand, kleine Akazienbäume und zwei Renault-LKW, auf deren Ladeflächen sich insgesamt zweihundert Sklaven in gutem Zustand befanden. Hundert Frauen zwischen zwanzig und dreißig und genauso viele gleichaltrige Männer. Sehen konnte Baabas allerdings nur die Glut seiner Zigarette. Es war ihm unverständlich, warum der Auftraggeber der monatlichen Sklavenlieferungen verlangte, dass ihr Treffen immer mitten in der Nacht und
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