Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung
Irrweg eines einzelnen Würdenträgers, von dem die Kirche zumindest später hätte Abstand nehmen können.
Im Gegenteil: Offenbar war über diesen Teil der Aktivitäten des Kardinals nach dem Urteil der Kirche schon 1957 genügend Gras gewachsen, denn nur drei Jahre nach seinem Tod eröffnete sein Nachfolger als Mailänder Erzbischof, Kardinal Montini, der spätere Papst Paul VI ., den kirchenrechtlichen Prozess zur Seligsprechung. Am 12 . Mai 1996 , fast auf den Tag genau sechzig Jahre nach Badoglios Triumphzug in Addis Abeba, wurde Schuster von Papst Johannes Paul II . seliggesprochen.
Distanzierung, Trauer oder Scham über die Billigung des Äthiopienkriegs durch die Kirche ist bisher zu vermissen. Und viel zu viele Gruppen innerhalb der Kirche, vorwiegend an deren konservativen Ende, führen das Wort vom Kreuzzug gegen dies oder jenes zu flott im Mund, um nicht begründeten Argwohn zu wecken, dass hinter solchen Parolen immer noch der alte Geist des blutigen Kampfs gegen Andersgläubige oder sonstige Feinde der Kirche steht. Die Kreuzzugsidee ist nicht aus der Kirche verschwunden, sie schläft gewissermaßen, wie ein alter Vulkan, bei dem niemand sicher sein kann, dass er nicht doch eines Tages erneut ausbricht.
2.
Beten für die Juden?
Am 16 . April 2010 verurteilte das Amtsgericht Regensburg Richard Williamson wegen Volksverhetzung zu einer Geldstrafe von 10 000 Euro. Er hatte im November 2008 in einem Interview mit einem schwedischen Fernsehsender behauptet, es habe in den deutschen Konzentrationslagern keine Gaskammern gegeben und es seien nur zwei- oder dreihunderttausend Juden dem Holocaust zum Opfer gefallen. Der Brite Williamson ist Mitglied der von der Kirche abgefallenen, ultrakonservativen Priesterbruderschaft St. Pius X . und wurde 1988 trotz des päpstlichen Verbots zum Bischof geweiht. Solch »illegale« Bischofsweihe führt für die Beteiligten automatisch, also ohne dass es eines ausdrücklichen Urteilsspruchs oder gar eines vorherigen Verfahrens bedürfte, zur Kirchenstrafe der Exkommunikation, das heißt, der Betroffene darf am kirchlichen Leben nicht mehr teilhaben.
Erzbischof Marcel Lefebvre, der Gründer der Piusbruderschaft, der seinerzeit die Weihe durchgeführt hatte, starb 1991 . Knapp zwanzig Jahre später, am 21 . Januar 2009 , begnadigte Papst Benedikt XVI . jedoch Williamson und die drei anderen unerlaubt geweihten Bischöfe der Piusbrüder. In unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang damit berichteten die Medien weltweit über die antisemitische Entgleisung Williamsons in dem Fernsehinterview zwei Monate zuvor. Insbesondere bei Vertretern des Judentums, aber auch innerkirchlich und in der übrigen Öffentlichkeit löste die Aufhebung der Kirchenstrafe durch den Papst Empörung aus. Der Kirche wurde vorgeworfen, damit die antisemitische Haltung Williamsons gebilligt zu haben. Der Papst und die zuständigen Kardinäle erklärten, sie hätten von nichts gewusst. Im Übrigen, so berichtete die Neue Zürcher Zeitung unter Berufung auf katholische Theologen, beziehe sich die Exkommunikation auf die eigenmächtige Bischofsweihe ohne päpstliche Zustimmung und bestrafe nicht antisemitische Einstellungen des abtrünnigen Traditionalisten.
Diese Erklärung stieß in der Öffentlichkeit auf Unverständnis. Es steigerte sich noch, als der Bischof von Stockholm, Anders Arborelius, erklärte, den Vatikan schon im November 2008 nach der Ausstrahlung des Interviews mit Williamson im schwedischen Fernsehen über den Vorfall informiert zu haben. Offenbar war diese Information irgendwo in den Kanälen des Vatikans hängen geblieben oder es hatte niemand ihre Brisanz erkannt.
Nun war die Erklärung der Kirche für den Vorgang kirchenrechtlich vollkommen korrekt, Exkommunikation ist nur für ganz spezielle Delikte als Strafe vorgesehen, antisemitische Äußerungen gehören nicht dazu. Auch nach dem Recht Schwedens und vieler anderer Staaten wäre die inhaltlich falsche und dumme Äußerung Williamsons nicht strafbar gewesen. Nach deutschem Recht handelt es sich um strafbare Volksverhetzung, Williamson ist, wie erwähnt, deshalb inzwischen auch rechtskräftig zu einer Geldstrafe verurteilt worden.
Warum also die große Empörung über die Entscheidung des Papstes? Die Kirche hatte schlicht verkannt, dass der kirchenrechtliche Aspekt die Öffentlichkeit nicht interessierte, sie hatte ignoriert, dass bei Juden der Eindruck entstehen konnte, sie sehe über Williamsons
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