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Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung

Titel: Schwarzbuch Kirche - Und führe uns nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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musste auch die Häresie die Todesstrafe nach sich ziehen. Der Mensch war zwar darin frei, das Christentum anzunehmen oder nicht, sofern er Heide war. Aber wer einmal getauft war, musste den Glauben, so wie ihn die Kirche lehrte, unverfälscht und unverkürzt bewahren. Die Stadt Toulouse und insbesondere die theologische Fakultät der neugegründeten Universität, die in der Hand von Professoren aus dem Dominikanerorden war, blieben gewissermaßen das theoretische Zentrum der Inquisition, auch als die Aktivitäten der Inquisitoren später ganz Europa umfassten.
    Es war der Dominikaner Bernard Gui, der seine langjährige Erfahrung als Inquisitor von Toulouse 1324 in einem Handbuch zusammengefasst hat, dem Tractatus de practica inquisitoris (»Abhandlung über die inquisitorische Praxis«). Ein Angeklagter konnte sich eine Milderung der Strafe erhoffen, wenn er sich kooperativ zeigte und in einem ausführlichen Geständnis möglichst viele echte oder eben auch nur angebliche Häretiker anzeigte. Des Inquisitors größte Sorge war, auf geheuchelte Schuldbekenntnisse hereinzufallen. Im Zweifel müsse man die Umkehr eines Häretikers als nur vorgetäuscht betrachten, und es sei besser, einen Ketzer zu viel zu verbrennen, als zuzulassen, dass ein Wolf im Schafspelz die ganze Herde verdirbt. Mitleid mit den Verurteilten war Bernard Gui völlig fremd, er gestand aber aus taktischen Gründen zu, dass ein Häretiker, der kurz vor dem Scheiterhaufen noch Reue zeigte, nicht sofort hingerichtet werden sollte, damit das Image der Kirche nicht bei mitleidigen Menschen, die der Inquisitor als schwache Gläubige betrachtete, Schaden nehme. Die Isolationshaft hielt Gui, der übrigens auch als Protagonist in Umberto Ecos Der Name der Rose erscheint, besonders geeignet zur Wahrheitsfindung. Auch hartnäckige Leugner würden unter dem Eindruck eines zeitlich unbegrenzten Kerkeraufenthalts in Einzelzellen schließlich noch gestehen. Dazu kam der Hunger, oder wie es hieß, »die wohlabgewogene Einschränkung der Nahrung«, die den Häftling schwächte.
    Zusätzlich zu diesen Mitteln erlaubte der Papst im Jahr 1252 den Inquisitoren auch die Anwendung der Folter. Damit war ihnen ein Instrumentarium eröffnet, das es erlaubte, den Delinquenten schrankenloses Leid zuzufügen. Die Verfahrensdauer verkürzte sich, die Geständnisse wurden schneller produziert, wodurch viel mehr Verdächtige der Inquisition unterworfen werden konnten – was den Ertrag aus beschlagnahmten Geldern oder »freiwilligen« Zuwendungen erhöhte. Es verwundert deshalb nicht, dass das Amt des Inquisitors Menschen mit charakterlichen Deformationen magisch anzog, die es nutzten, ihre Gier nach Macht und Geld ungezügelt auszuleben. Ein übles Beispiel dafür ist der Cölestinermönch Petrus Zwicker, der nach 1390 als Inquisitor in Ostdeutschland, Österreich, der Slowakei und Ungarn tätig wurde. Vor ihm waren nicht einmal Kinder sicher, im oberösterreichischen Stift Garsten verurteilte er einen Zehnjährigen, zwei Jahre lang ein Ketzerkreuz als Schandmal an seinem Gewand zu tragen. Es war übrigens nicht so, dass die meisten Opfer der Inquisition hingerichtet wurden, dies betraf nur verhältnismäßig wenige Angeklagte. Trotzdem war die Zahl der Opfer, die Zwicker verbrennen ließ, mindestens dreistellig. Man kann also nur schätzen, dass er viele tausende Menschen zu anderen Strafen verurteilte, zu Bußübungen, wie dem öffentlichen Geißeln während der Heiligen Messe, oder der Verpflichtung zu Wallfahrten oder anderen guten Werken, die häufig nichts anderes als erhebliche Vermögensopfer zugunsten der Kirche bedeuteten. Der Cölestinerpater konnte es als »Erfolg« seiner Mission verbuchen, dass nach Ende seines Wirkens in den von ihm bearbeiteten Regionen keine Waldenser mehr lebten oder jedenfalls ihren Glauben nicht mehr öffentlich zeigten.
    Die von der Inquisition verbreitete Angst führte dazu, dass sich niemand mehr traute, von der offiziellen kirchlichen Lehre abweichende Auffassungen zu äußern oder an der Kirche und ihrer Geistlichkeit Kritik zu üben. Mit Gewalt hatte es die Kirche geschafft, ihr Monopol in geistlichen Dingen zu behaupten. Ihre Glaubwürdigkeit ging darüber freilich zu großen Stücken verloren – und schlimmer noch, die Kirchenführung schien das nicht einmal zu bemerken. Unter der ruhigen Oberfläche wuchs die Wut vieler Gläubiger über die Kirche, und die alten Reformgedanken, der Wunsch nach der Predigt in Volkssprache und einer

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