Schwarze Blüte, sanfter Tod
Hongkonger sich auf der StraÃe aufstellen und mit dem Gesicht nach Osten Sprüche aufsagen. Erst danach gibtâs Frühstück!«
Und da nutzte ich die Gelegenheit, sie, obwohl ich von Politik nur sehr vage Vorstellungen hatte, geradeheraus zu fragen: »Aber â das war doch einmal so, oder?«
Anfangs glaubte ich, ich hätte sie ernsthaft beleidigt, denn sie schwieg eine Weile. Doch dann öffnete sie mir auf ihre ebenso höfliche wie bestimmte Art den Blick dafür, daà die Leute im Mutterland ebenso ungleich waren, ebenso unterschiedliche Schicksale hatten wie wir in Hongkong. Sie sagte nämlich ohne nennenswerte Gefühlsbewegung: »Ja, ja, das gab es. Und eine Menge mehr aus dieser Kiste. Ich habe das als ziemlich junges Mädchen erlebt, ich verbrachte die meiste Zeit, in der sich das austobte, in der Wüste Gobi. In der Provinz Kansu. Meine Eltern schachteten dort Bewässerungsgräben aus. Ich auch.«
Ich blickte unwillkürlich auf ihre Hände. Sie bemerkte es wohl, sagte aber nichts. Bis ich mich, vorsichtiger geworden, erkundigte, ob ihr Gatte dabei in ihrer Nähe gewesen sei. Da schüttelte sie den Kopf.
»Lam war in der östlichen Mandschurei. Sie erweiterten dort ein Stahlwerk, das die Russen nicht zu Ende gebaut hatten, nachdem sie Krach mit unseren Politikern kriegten ...«
»Und warum gerade Sie und Ihre Familie?«
Sie lächelte. »Meine Mutter spielte Klavier im Theater. Das Klavier und alle, die es spielten, galten als Verbreiter von fremder Unkultur. Bei meinem Mann war es die Herkunft. Man wuÃte, daà sein Vater in Hongkong residierte, sozusagen als reicher Mann.«
Ich erinnerte mich, daà um diese Zeit Tausende über die grüne Grenze an den New Territories aus dem Mutterland nach Hongkong geflüchtet waren. Sie überkletterten den Zaun, den die Engländer dort gezogen hatten, und verschwanden einfach im quirligen Leben Hongkongs, schlugen sich irgendwie durch oder kamen manchmal auch um.
Als ich die Frau darauf aufmerksam machte, gab sie nur zurück: »Ich weià das. Mein Mann und ich wollten nicht fliehen. Der Mensch soll nicht immer nur vor seinem Schicksal davonlaufen, er muà schon die Kraft aufbringen, es zu meistern.«
Was ihr gelungen war. Ihrem Mann auch. Aber nun hatte ihn ein neues Schicksal eingeholt. Hier in Macao. Er konnte damit nicht gerechnet haben. War arglos hierher gekommen, um â nachdem die Sprüchemacher im Mutterland ein wenig in den Hintergrund gedrängt worden waren â seine Familie zu sehen.
»Da vorn ... ist das schon Macao?« Die Frau beugte sich zum Fenster hinüber und musterte neugierig den Küstenstrich, der über das schlammige Wasser der PerlfluÃmündung hinweg an Steuerbord in Sicht kam.
Ich bestätigte es. Und ich war froh, daà die Unterhaltung sich jetzt auf einen anderen Gebiet bewegte. Ich erklärte ihr, daà im Vordergrund Guia Fortress lag, mit den antiken Mauern, und man weit hinten sogar noch die helle Fassade des Casinos am Jai Alai Stadion sehen konnte. Mir fiel ein, daà ich erst unlängst gehört hatte, auch in Shanghai würde demnächst ein Spielcasino eröffnet.
Sie bestätigte es ohne besondere Gemütsbewegung. Ich hatte meine Vorstellungen von einer stellvertretenden Bürgermeisterin in einem Staat wie China vermutlich zu korrigieren. Nun, vielleicht nannte man es besser »vervollständigen«. Wir Chinesen neigen zu höflichen Untertreibungen, wenn sie, wie wir sagen, der Förderung der inneren Harmonie dienen. Und nichts kosten!
Um die innere Harmonie auch bei Mrs. Choi noch weiter zu befördern, winkte ich eine Rikscha heran, in der wir bequem nebeneinander sitzen konnten.
Der Fahrer war hocherfreut, denn es waren wohl wirklich nur noch nostalgische Anwandlungen, die Besucher Macaos veranlaÃten, eine Fahrt mit einem dieser Vehikel aus verblassender Zeit zu machen.
Mir hat einer erzählt, daà in bestimmten Städten Mitteleuropas heute noch Touristen in Pferdekutschen an den Sehenswürdigkeiten vorbeigefahren werden, der Kutscher auf dem Bock trägt dabei einen Zylinder wie in den Schauerballaden der Zelluloidbrüder Shaw die Bösen, die aus der Ferne zugucken, wie einer beerdigt wird, den sie selbst umgebracht haben. Diese Welt hat schon ihre Kuriositäten!
Ich lieà die Rikscha am Lisboa halten und schlug Mrs. Choi vor, auf der Terrasse des
Weitere Kostenlose Bücher