Schwarze Blüte, sanfter Tod
heranglitt, wo sich zwischen Yacht und Steg ein ausreichender Zwischenraum auftat, gleichsam eine Parklücke, in die der Scooter gerade paÃte.
An Deck was alles still. Nun gut, Victor Choi war nicht da, das wuÃte ich. Also schien Mrs. Choi aus Shanghai zu schlafen. Verlängerte Mittagsruhe. War in unserer Gegend durchaus nicht unüblich. Vor allem, wenn man Zeit dafür hatte.
Ich irrte. Wie sehr, das wurde mir mit jedem Raum klar, den ich auf dem Fahrzeug betrat. Weder im Ruderhaus noch im Salon oder in einer der Kabinen eine Spur von Mrs. Choi. Selbst der nachgemacht antike Schreibsekretär, den Victor Choi in einer der Kabinen stehen hatte, die wohl sein privates Refugium war, wies nichts auf, das mir über den Verbleib von Mrs. Choi Auskunft hätte geben können.
Die in frühen Jahren bei der Hongkonger Polizei erworbene Routine führte mich dann schlieÃlich in das pompöse Bad mit seinen Spiegeln und Chromarmaturen, und hier stand die Lösung des Rätsels sozusagen buchstäblich auf Kristall, mit Lippenstift geschrieben: »Nur für alle Fälle â Uwalu holt mich zu einem Ausflug nach Sin A Chau ab: Wollen abends zurück sein! Tse Min«.
Ich hockte mich auf einen Handtuchtrockner und überlegte.
Sin A Chau war einer der Geheimtips in Hongkong, wenn man einmal von der sogenannten Zivilisation und der gelobten Prosperität Ruhe haben wollte, für ein paar Stunden oder für länger. Eins der winzigen Inselchen südlich von Lantau, noch kleiner als etwa Cheung Chau, wo es wenigstens eine Ortschaft gab, und wo einmal die Woche die Fähre anlegte, für den Fall, daà man mit dem eigenen Boot nicht zurechtkam.
Sin A Chau war etwas für Naturfreaks. Allerdings gab es von denen inzwischen auch schon so viele, daà sich eine geschäftstüchtige Hakka-Köchin hier angesiedelt hatte, die früher im Chiuw Chow Garden am Connough Place in fröhlicher Konkurrenz zu den Steaks der Küche des Jardine Houses solche kleinen Köstlichkeiten wie Au Yuk oder Shiu Mai gebrutzelt hatte, Bällchen aus Rindsgehacktem oder süÃsauer gedünstete SchweinefleischklöÃchen â auch die kantonesische Frühlingsrolle war stadtbekannt (soweit man diese Stadt eben überhaupt kennen kann!) â zubereitete: Chi Lin, von den Engländern, die ihre Küche schätzten und regelmäÃig kamen, in ihrer gewohnt kollegialen Art »Linny« genannt. Eine Frau, die wie eine Figur aus einer Kanton-Oper schien, aus einer heroischen möglicherweise, etwa die Hauptdarstellerin der »Kämpfenden Braut«. Breitschultrig, mit Beinen wie Tempelsäulen und Händen, die eine Kokosnuà zerquetschen konnten (so glaubte man wenigstens), aber mit dem Gesicht eines neugierigen Kindes in einem der Nester oben in den New Territories. Und dem Gemüt eines Wasserbüffels â ruhig üblicherweise, aber zerstörerisch im Zorn.
Sie war angenehm überrascht, als sie mich sah.
Linny kannte mich noch aus Polizistentagen, wenn ich auf gemeinsamer Tour mit Bobby Hsiang bei ihr eine Pause einlegte und eine ihrer unvergleichlichen Frühlingsrollen verzehrt hatte. Als ich an dem etwas klapprigen Steg, wo schon die Pinocchio festgemacht lag, meinen Scooter parkte, schoà sie aus dem Flachbau, der mit dem eindrucksvollen Schild CHILIN´S ISLAND Palace geschmückt war, und schon aus einiger Entfernung begrüÃte sie mich fröhlich: »Hallo Toko, alter Verbrecherschreck! Was macht Wanchai? Und â wie kommst du hierher, ans Ende der Kolonie?«
Ich wies auf meinen Scooter und bemerkte beiläufig, während wir uns vor der Glasveranda etwas eingehender begrüÃten: »Ãber das Ding kannst du lachen, Linny, bloà â ein so feines Boot wie die Pinocchio kann ich mir immer noch nicht leisten.«
Sie feixte. Eine Frau, die mich schon als Schuljungen gekannt hatte. Da wusch sie Geschirr in Kneipen in Wanchai. Das war, bevor die Spülmaschinen solchen Frauen den Job raubten.
»Und ich dachte, du wirst wohl bald mit deiner Kreditkarte im Jackett nach Amerika abfliegen, bevor die Kaiserlichen aus Peking kommen!«
»Den Gedanken traue ich dir zu. Aber du unterschätzt meine Liebe zu diesem Landflecken hier. Gehst du denn weg?«
Sie lachte laut: »Warum? Engländer oder Kommunisten, alles eine Tusche. Solange sie mich hier Ausflügler versorgen und Geld verdienen lassen, ist mir egal, wie
Weitere Kostenlose Bücher