Schwarze Blüte, sanfter Tod
sie habe sich mit ihm zusammentun wollen. Es nach der Katastrophe neu versuchen wollen, ein gemeinsames Leben zu begründen â er wies sie ab.
So war das. Sie weinte nur noch. Vielleicht hätte sie es verstanden, wenn Ai Wu sich in eine andere verliebt hätte. Aber das war nicht so. Er wollte einfach nichts mehr von ihr wissen. Lachte, als sie ihn an das gemeinsame Kind erinnerte, das da oben begraben lag. Das sei ein Märchen, um ihn einzufangen, behauptete er. Eines Tages war er weg.
So, Mister Lim Tok, das ist die Geschichte. Nun denken Sie darüber nach, warum die Leute in diesem Lande manchmal sehr still sind, wenn sie sich an die Vergangenheit erinnern ...«
Mir fiel nichts ein, was ich hätte sagen können. Bao An schien das zu spüren. Er orderte noch ein Bier. Schob mir die Pappschale mit den Erdnüssen hin. Lauschte der Musik, als sei er lediglich ihretwegen hierher gekommen, und als gäbe es mich gar nicht.
Die Geschichte, die ich von Bao An gehört hatte, beschäftigte mich auf eine eigenartige Weise weiter. Man hatte bei uns in Hongkong während des Kalten Krieges an jeder StraÃenecke, aus jedem Kofferradio beinahe zu jeder Stunde Schilderungen dieser Art hören können wie die Bao Ans. Trotzdem â sie blieben anonym, gesichtslos, ohne Bezug zur Wirklichkeit. Aber wenn so eine Geschichte plötzlich einen Menschen repräsentiert, den man zu kennen glaubte, von dem man sich zuvor ein Bild gemacht hat, ohne zu wissen, was auf sein Konto kommt, wenn man mit ihm gesprochen hat, wie mit jemandem, der ohne Fehl und Tadel ist, dann beschleicht einen das Gefühl, Menschen nicht nur nicht sicher beurteilen zu können. Man verliert leicht die Unbefangenheit, mit der man sonst irgend jemandem, egal wo und in welchem Zusammenhang, entgegentritt. Mir war nicht wohl bei diesen Gedanken.
Bao An, als ich ihm das nach einer Weile gestand, korrigierte mich nicht. Er versuchte auch nicht, meine Ãberlegungen kleinzureden. Er gab mir lediglich zu bedenken: »Dieser Ai Wu war ein bedauernswerter Hund, wenn man das alles mit dem Abstand betrachtet, den wir heute von diesen Sachen haben. Er hing dem Irrtum an, das, was er mache, sei gut. Sie haben ihn ausgenutzt. Vielleicht hatte sogar einer früh schon seine Schwäche erkannt, die mürbe Stelle in seinem Naturell, und das kam ihnen entgegen. Wer will da richten? Ich nicht. Wir alle lebten in diesen Verhältnissen. Wir alle dachten, das, was da praktiziert wurde, hatte die besten Aussichten auf Erfolg. Und Erfolg â das hieà ein starkes China, selbständig, prosperierend, Filme machend, Künstler respektierend ... ach, wissen Sie, Mister Lim Tok, Leute wie ich haben lange aufgehört, jemanden von damals heute für das verantwortlich zu machen, was er unter den alten Verhältnissen tat. Wir überlassen das den Feiglingen, die früher das Maul hielten. Und den Fanatikern. Was mich angeht, ich habe den Mut gehabt, Ai Wu damals zu sagen, er handle wie ein Schwein. Aber ich würde diese alte Geschichte allein heute nicht mehr zum MaÃstab meines Urteils über ihn machen. Wer weiÃ, was er selbst jetzt darüber denkt. Der Mensch ist ein eigenartiges Wesen, wer wird ihn je ganz verstehen können? Ich nicht ...«
»Aber dem Mädchen hat es immerhin das Herz gebrochen«, bemerkte ich.
Er nickte. »Darauf weià ich keine Antwort, Mister. Seien Sie froh, daà Sie diese Zeit in Hongkong verbringen konnten. Das hat Sie vor einem Gewissen bewahrt, mit dessen Unruhe Sie sonst vielleicht heute auch zu kämpfen hätten ...«
»Hat sich das Mädchen wieder gefangen, seit damals?« fragte ich.
»Bessie?« Er trank sein Bier aus, stellte das Glas ab und gab zugleich einem der zwischen den Tischen herumwieselnden kurzberockten Serviermädchen das Zeichen, neues zu bringen. Dann sagte er langsam: »Es sah lange Zeit nicht danach aus, Mister. Und dann war sie eines Tages nicht mehr da.«
»Nicht mehr da?«
»Ja. Weg.«
»Verzogen, sozusagen? Oder?«
Er lächelte schwach. »So könnte man es wohl nennen. Verzogen. Man hatte sie wieder bei uns eingestellt. Neue Leute bemühten sich damals, die von solchen MaÃnahmen Betroffenen wieder einigermaÃen ins normale Leben zurückzubringen. Ich entsinne mich, daà Bessie ihre Ausbildung beenden konnte. Sie hatte einige Schwierigkeiten mit ihrer linken Hand, wenn ich mich recht erinnere. Da
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