Schwarze Blüte, sanfter Tod
daà Aberdeen immerhin vor erdenklichen Zeiten einmal einer der bevorzugten Piratenschlupfwinkel Hongkongs gewesen ist. Die Prospekte mit der Reklame für Erlebnisurlaub waren schon gedruckt. Das Nostalgie-Spektakel muÃte allerdings nach Protesten aufgegeben werden: zu realistisch. Es gab mehrere Herzinfarkte bei etwas verfetteten Europäerinnen, einen oder zwei mit Todesfolge ...)
»Du willst tatsächlich auf die Jumbo?«
Sie beschwichtigte mich, während sie mir ein Stück Toast generös mit Weinbeerenkonfitüre bestrich: »Ausnahmsweise, ja! Hast du nicht gelesen, daà Monty Hsu abends dort kocht?«
»Wer ist Monty Hsu?«
Ich hatte auf manchen Gebieten Bildungslücken, und ich wuÃte es. War also nicht weiter überrascht, daà mir zu irgendeinem Namen nichts einfiel. Vermutlich einer dieser Kerle aus der Hongkonger Szene, dem es einfiel, wieder einmal von sich reden zu machen.
Pipi belehrte mich mit dem Charme der Rezeptionistin, die einen Gast über die Lage der Hoteltoiletten ins Bild setzt: »Der wohnt bei uns. Er ist der berühmteste Spezialist der chinesischen Küche von Los Angeles. Sein Restaurant bringt Millionen ein. Kocht für die berühmtesten Filmstars exklusiv. Heute und morgen gibt er ein Gastmahl auf dem Jumbo. Er überreichte mir im Hotel zwei Tickets ...«
Ich hatte geschluckt, als das Stichwort Film fiel. Ich würde zu diesem Medium, das so viele Leute entweder verzauberte oder zu Idioten machte, wohl nie eine engere Beziehung bekommen, auch wenn ich beruflich gerade darin festsaÃ. Nun ja, ein Koch aus Los Angeles, der war vielleicht noch zu ertragen, wenngleich ich etwas stillere Lokale bevorzugte als das lärmende Jumbo.
»Was gibts denn von dem zu essen?« fragte ich Pipi. Vielleicht löste sich mit der Antwort bereits die Frage, ob ich den Dampfer beehrte. Aber Pipi war, das merkte ich gleich, gut vorbereitet.
»Abalones, sechs Sorten Seefisch, auf jeweils unterschiedliche Art zubereitet und garantiert nicht älter als sechs Stunden, Haiflossen, Schwalbennester, Morcheln ... willst du noch mehr hören?«
Ich winkte ab. Es reichte mir. Solange keine »Lieder singenden« Tiere dabei waren, kamen mir all diese Leckereien, die im Ausland den Ruf der chinesischen Küche als exotisches Abenteuer gefestigt haben, schon recht, und ich hatte keinen Grund abzulehnen.
Es würde sich herausstellen, auf welche Landschaft dieser Meisterkoch orientiert war. Denn â ob es Abalones oder Schwalbennester waren, Schwein oder Tintenfisch, Garnelen oder Barsch: das, was die superklugen Ausländer aus den geschäftstüchtigen China-Restaurants ihrer Heimatorte als »Chinesische Küche« zu essen gewohnt sind, ist im Grunde ein dem jeweiligen fremden Geschmack angepaÃter Mischmasch, der ein einziges besonderes Kennzeichen hat â er ist fremdartig.
Chinesische Küche, das heiÃt, daà in jeder Region des riesigen Landes unterschiedlich gekocht wird.
Wer sich in Tschungking einen Feuertopf bestellt, ist selbst schuld. Der wird nämlich in seiner besten und schmackhaftesten Art nur in den mongolischen Gebieten im Norden, vielleicht noch in Peking richtig zubereitet. Wer in Lehm gebackenes »Bettlerhuhn« essen will, sollte das nicht in Szetschuan tun, sondern in Shanghai, da ist es zu Hause. Und wer in Harbin SüÃspeisen ordert, dem sollte man empfehlen, das lieber in Kanton zu tun.
Die Aufzählung solcher Unterschiede und Besonderheiten lieÃe sich lange fortsetzen. Aber es gibt noch ganz andere Dinge, die zu beachten sich lohnt. Wer in einem Restaurant in China etwa im Frühsommer SüÃwasserkrebse bestellt, dem serviert man zwar welche, aber man belächelt ihn still, denn diese Dinger schmecken nur im Herbst. Oder wenn einer bei vierzig Grad im sommerlichen Schatten im Süden Schlange essen will â auch der bekommt sie natürlich, aber wenn er wüÃte, was chinesische Küche wirklich ist, würde er sie lieber in der Winterzeit essen.
Da fällt mir der Spaà ein, den ich immer habe, wenn ein Amerikaner, der das Mutterland bereist hat, in Hongkong erzählt, er habe die hervorragende chinesische Küche in den entlegensten Gegenden vorgefunden, habe auch alles gegessen, mit einer einzigen Ausnahme: Hund!
Wenn so ein bedauernswerter Naivling nur wüÃte, wie oft er in dem, was er entlegene Gegend nennt, Hund gegessen hat, ohne daà der auf
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