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Schwarze Blüte, sanfter Tod

Schwarze Blüte, sanfter Tod

Titel: Schwarze Blüte, sanfter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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einer der jungen Männer brüllte: »Hau ab, Langnasensau!«
    Als hätte sie auf diese Provokation gewartet, keifte Wanda zurück: »Stinkendes Rassistenschwein! Daß dich deine Mutter ...! Kriech zurück, woher du kommst, schwules Stück Eselsdung! Du auch, da drüben, auf dem Sitz! Ihr seid ja perverser als man es in Büchern liest, nicht mal eine Rolle am Nachmittag haltet ihr aus, ihr Kinderschänder ...«
    Ein paar Obstweiber bogen sich vor Lachen über die holperige und doch so blumige Sprache der Russin. Ahmten sie nach. Fußgänger blieben stehen und hörten grinsend zu. Wanda und den Obstweibern, abwechselnd.
    Bis dann dem Beifahrer im Mazda die Nerven durchgingen. Er sprang heraus, in der Hand eine zusammengefaltete Zeitung, mit der er auf Wanda eindrosch, er schlug ihr den Wisch ins Gesicht, daß man trotz der Straßengeräusche vermeinte, es klatschen zu hören.
    Wanda schlug zurück. Sie hatte ein kleines Täschchen bei sich, das wedelte sie dem Angreifer um die Ohren. Schimpfte dabei auf russisch und englisch abwechselnd, so daß die Marktweiber sich empörten, weil sie zumindest die russischen Ausdrücke für Hilferufe hielten.
    Aus den Augenwinkeln nahm ich wahr, wie Lum eine halbierte Melone in den Auspuff des Mazda drückte und darin stecken ließ.
    Wanda schlug indessen immer noch zurück, daß die Leute vor Vergnügen johlten. Lum kreischte erstaunlich laut in das allgemeine Durcheinander: »Haut die schwulen Autodiebe! Immer auf die Labonza!«
    Da sprang der Fahrer aus dem Mazda und versuchte, sich Lum zu greifen.
    Aber er hatte sich total überschätzt. Lum war schneller als er und wendiger. Er lockte ihn zwischen die Obststände, und wie auf Verabredung schmissen jetzt die Marktweiber angegangene Tomaten und schon zu weiche Kiwis auf die zwei Burschen und ihr Auto.
    Das Tohuwabohu war vollständig. Vorbeifahrende Autos hielten an, von den Piers liefen Leute herbei, um zu sehen, was da los war. Der Krach war nicht mehr zu überbieten, und solch ein Krawall gehörte zu den erhabensten Erlebnissen der Hongkonger Marktweiber, der Marktbesucher, der Leute überhaupt, die sich um diese Zeit in der Gegend befanden.
    Mrs. Choi stand reglos neben mir und blickte auf das Geschehen, wie man auf eine Leinwand blickt, über die ein Film flimmert.
    Der Fahrer kam, weil er Lum unbedingt greifen wollte, einem Stand zu nahe, und eine Hakka-Frau, die ich kannte, weil sie vorzügliche hundertjährige Eier anbot, drosch ihm ihren Abakus über den Schädel, daß die Kugeln in die Gegend flogen.
    Sie benutzte das Ding ohnehin nicht mehr wirklich zum Rechnen, da hatte sie ein Solarzellengerät in Spielkartengröße bei sich – der Abakus diente zur Dekoration. Jetzt war er kaputt, und das machte die Hakka-Frau noch wütender als sie schon darüber war, daß hier zwei kräftige junge Männer eine Frau schlugen und einen kleinen Jungen jagten. Sie holte mit dem Gerippe des antiquierten Rechenbretts immer wieder aus, bis der Fahrer schließlich die Flucht ergriff.
    Er verkroch sich im Auto und hupte verzweifelt.
    Sein Kumpan begriff, daß die Show zu Ende war und flitzte ebenfalls aus dem Getümmel zurück auf den Beifahrersitz. Aber so sehr der Fahrer sich auch abmühte, den Motor zu starten, es klappte nicht.
    Bei einem mit einer Melone zugestopften Auspuff ist das nicht verwunderlich, aber davon wußten die Burschen eben nichts. Und so gaben sie schließlich zermürbt auf, stürzten aus dem Wagen und liefen durch das Spalier der wütend schimpfenden und immer noch mit leicht angegangenem Obst und Gemüse werfenden Weiber davon.
    Wanda brüllte einen letzten russischen Fluch hinterher. Lum bekam von der Frau mit dem Abakus eine Handvoll Pistazienkerne, weil er inzwischen die Rechenkugeln zusammengesucht hatte und ihr anbot, das Ding zu jemandem zu schaffen, der es reparierte.
    Ich entdeckte Wu, der fassungslos zu Wanda lief und auf sie einredete. Aber die Russin grinste vergnügt, blinzelte mir zu und fragte: »Gut so?«
    Â»Hervorragend!« lobte ich sie.
    Mrs. Choi sah mich belustigt an und bemerkte lakonisch: »Reife Leistung. Sie könnten als Politiker Karriere machen!«
    Obwohl ich sogleich erschrocken abwinkte, ging mir der Gedanke durch den Kopf, daß sie das erste Wesen aus dem Mutterland war, bei dem ich so etwas wie eine Spur von Humor entdeckte.

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