Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
sagte die Kellnerin.
Barbara lächelte, so dass sich Fältchen um ihre Augenwinkel legten.
Als sich die Kellnerin wieder zurückgezogen hatte, sagte ich: »Nachdem mein Vater gestorben war, habe ich mich wahrscheinlich irgendwie schuldig gefühlt.«
»Jeder hat Schuldgefühle, wenn jemand stirbt, der ihm nahegestanden hat.«
»Vermutlich. Aber meine waren berechtigt: Ich hatte ihn in den letzten Wochen zu selten besucht. Zuerst wollte ich nur wissen, ob ich etwas hätte tun können – ob ich etwas versäumt hatte. In seinem Fall, dachte ich mir, ginge das am besten, wenn ich mir ansah, woran er gearbeitet hatte. Die ganze Zeit hatte ich einfach angenommen, er schriebe über den Tod meiner Mutter.«
»Vielleicht hat er das ja auch.«
»Wie meinen Sie das?«
»Nicht genau darüber. « Sie stellte die Kanne ab und leckte sich dezent die Daumenkuppe ab. »Aber Sie wissen ja, dass Geschichten gefährlich sein können, nicht wahr? Oft bleibt es nicht ohne Folgen, wenn man sie erzählt.«
Ich nickte.
»Und manche Geschichten sind so gefährlich, dass man damit warten muss, sie zu erzählen – bis man niemandem mehr schaden kann, indem man sie erzählt.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
Sie zuckte die Achseln. »Vielleicht konnte Christopher erst nach dem Tod Ihrer Mutter etwas in Angriff nehmen, das ihn schon lange beschäftigt hatte.«
»Robert Wiseman?«, fragte ich. »Oder zumindest das Buch.«
»Oder beide.« Sie riss ein Zuckertütchen auf. Es zischte leise, als sie es in ihren Kaffee schüttete. »Jedenfalls haben Sie erfahren, woran er gearbeitet hat. Und ich nehme an, Sie wollen wegen der Nachricht mit mir sprechen, die ich auf dem Anrufbeantworter Ihres Vaters hinterlassen habe?«
»Ja, weil Sie sich mit ihm treffen wollten.«
Sie sah ihn entgeistert an. »Gott, nein, er wollte mit mir reden.«
»Ach so. Und haben Sie sich mit ihm getroffen?«
»Nein, wir hatten noch nichts festgemacht: Wir hatten nur ein paar E-Mails und Telefonate getauscht. Ich … sagen wir mal, ich war nicht erpicht darauf, über das Thema zu sprechen, habe mich aber irgendwann doch breitschlagen lassen und mich mit ihm zusammengesetzt. Und dann habe ich nie wieder von ihm gehört. Nach meiner unmaßgeblichen Meinung war er ein feiner Mensch. Jedenfalls bekam ich den Eindruck durch unsere kurze Korrespondenz. Wenn es zu dem Treffen gekommen wäre, hätte ich ihm dasselbe gesagt wie jetzt Ihnen.«
»Nämlich?«
»Lassen Sie die Finger davon.«
Ich sagte nichts. Sie hatte gut reden, sie brauchte ein heißes Eisen wie diese Geschichte nicht anzupacken. Im Unterschied zu mir wusste sie nicht aus eigener Erfahrung, wie glühend heiß dieses Eisen war. Sie wusste nichts von Ally und folglich auch nicht, dass ich es mir nicht leisten konnte, die Finger davon zu lassen.
Barbara sah mich mit ihren knopfgroßen Augen hinter den Brillengläsern an und wiederholte ihren Rat.
»Lassen Sie die Finger davon, Neil. Lassen Sie die Vergangenheit ruhen.«
»Und wenn ich nun nicht kann?«
»Nicht können oder nicht wollen?«
»Vielleicht beides.« Ich lehnte mich zurück und verschränkte die Arme. »Ehrlich gesagt, habe ich den Eindruck, dass auch Sie es irgendwie nicht lassen können. Ich meine, wenn Sie einen großen Bogen darum machen würden, hätten Sie meinen Vater nicht zurückgerufen, oder? Und wieso verabreden Sie sich mit mir? Wieso schlagen Sie ausgerechnet diesen Treffpunkt vor? Ich meine, das Fisherman’s Catch?«
Barbara trank ihren Kaffee und lächelte. Es war ein süßsäuerlicher Ausdruck, der mich irgendwie an das erinnerte, was sie über ihren Mann gesagt hatte. Er hat Alzheimer. Schon seit einer ganzen Weile. Ja, dachte ich. Manchmal sind Geschichten so gefährlich, dass man sie erst erzählen kann, wenn man damit niemandem mehr schadet.
»Da haben Sie vielleicht recht«, räumte sie ein. »Und wahrscheinlich stimmt es auch, dass die Aktivitäten Ihres Vaters Dinge verändert haben. Ich nehme an, Sie haben heute die neuesten Meldungen gelesen?«
»Das mit den sterblichen Überresten, die sie gefunden haben?«
»Ja. So gesehen scheint die Wahrheit also tatsächlich ans Licht zu kommen, ob wir es wollen oder nicht. Denn wenn es sich bei diesen sterblichen Überresten um die Person handelt, auf die ich tippe, lässt sich die Sache wohl nicht mehr sehr viel länger unter dem Deckel halten.«
Ich tippte mit dem Finger auf den Einband von Die schwarze Blume.
»Der Kindermörder, nehme ich an? Clark Poole?«
Sie
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