Schwarze Blumen: Thriller (German Edition)
sehr schnell, und ein Stück weiter die Küste runter fließt er direkt ins Meer.«
»Die Karte«, wurde ihr bewusst.
»Ich war dabei, als Colin diese Kreuze machte.« Barnes nickte. »Wir versuchten an diesem Tag, die Route des Mörders zu rekonstruieren. Wohin er mit ihr gelaufen war.«
»Auf der Suche nach einem Tatprofil.«
»Ja. Obwohl wir wussten, wer es war.«
»Das haben Sie gewusst?«
»O ja. Charles Dennison. Er lebte in dem Wohnblock am Park. Er machte nie ein Geheimnis daraus, was er getan hatte, doch er war sehr vorsichtig und clever. Wir wussten es zwar, konnten es ihm aber nie beweisen. Dennison hatte schon einschlägige Erfahrungen mit Kindern, und er machte sich hinterher ein Vergnügen daraus, Ihren Vater zu verhöhnen. Der Gedanke daran, dass es Colin nicht gelungen war, ihn daran zu hindern, war eine Genugtuung für ihn.«
»Mein Gott«, sagte sie.
»Dennison war der Mann, den wir getötet und in den Fluss geworfen haben. Sie müssen etwa fünf Jahre alt gewesen sein, als das alles passierte.« Barnes sah sie an. Seine Augen waren blutunterlaufen. »Sie können unmöglich geahnt haben, wie sehr das alles Ihren Vater mitgenommen hat, aber das hat es wirklich. Über alle Maßen. In seinen Augen hatte er dieses kleine Mädchen verraten, und auch ich habe mir bittere Vorwürfe gemacht, sie im Stich gelassen zu haben. Versagt zu haben.«
Hannah versuchte, das, was Barnes ihr da erzählte, mit ihren Erinnerungen an ihren Vater in Einklang zu bringen. In gewisser Weise war die Geschichte, die sie jetzt hörte, viel besser, als sie befürchtet hatte. Unter den gegebenen Umständen war sie vielleicht das Beste, was ihr passieren konnte.
»Also haben Sie beide … diesen Mann aus Rache getötet.«
»Nein.« Barnes’ Ton war bestimmt. Er schüttelte den Kopf. »Zum Schutz.«
»Was soll das nun wieder heißen?«
»In dem Jahr, nachdem die Kleine ermordet wurde, guckte sich Dennison ein anderes kleines Mädchen aus. Auch sie kam zu Ihrem Vater und hat ihn auf ihre Weise um Hilfe gebeten. Doch diesmal waren wir entschlossen. Unter keinen Umständen würde einer von uns zulassen, dass Dennison noch ein kleines Mädchen in die Finger bekam. Deshalb haben wir es getan.«
»Um dieses kleine Mädchen zu beschützen?«
Barnes nickte, und so wie er es erklärte, klang es beinahe edelmütig. Doch das war noch nicht die ganze Geschichte, nicht wahr? Es war mehr als eine Leiche in dem Fluss gefunden worden. Bevor sie Barnes an diesen misslichen Umstand erinnern konnte, fuhr er fort.
»Es verfolgt mich, Hannah. Sie haben keine Ahnung, wie es war. Und ich weiß, dass es auch Colin nicht mehr losließ. Letztlich hat es unser beider Ehen zerstört. Deshalb ist Ihre Mutter gegangen. Doch trotz allem habe ich es nie bereut. Höchstens wünsche ich mir, wir hätten es ein Jahr früher gemacht.«
Hannah verlor ihre Frage einen Moment aus den Augen.
Deshalb ist Ihre Mutter gegangen.
Irgendwo vor der Mitte des Fotoalbums verschwand ihre Mutter tatsächlich aus den Bildern wie aus ihrem Leben. Hannah hatte nur eine Handvoll Erinnerungen an die Frau selbst, und aus denen sprach nichts als Missbilligung: starre Blicke und ein gequältes, dünnes Lächeln. Irgendwann war sie weggezogen und hatte mit einem anderen Mann ein neues Leben angefangen, während Hannah sich über die Jahre hin die größte Mühe gab, der Frau zu vergeben, dass sie fortgegangen war. Es war ihr gelungen, doch sie hatte nie das Bedürfnis gehabt, sie ausfindig zu machen und zu sehen, wie ihr neues Leben aussah. Der niederträchtige Gedanke blieb: Meine Mutter hat mich einfach nicht genug geliebt. Vielleicht hatte sie deshalb umso mehr an ihrem Vater gehangen.
Jetzt hörte sie von Barnes, dass es eine andere Erklärung dafür gab: dass ihre Mutter es einfach nicht ertragen hatte, mit den Gespenstern zu leben, die ihr Vater mit sich herumtrug. Dem Gespenst eines toten kleinen Mädchens. Dem Gespenst eines Mannes, den er ermordet hatte.
»Was ist mit der zweiten Leiche?«
Barnes lachte, doch es klang hohl.
»Robert Wiseman.«
»Was?« Natürlich kannte sie den Namen. Wiseman war in Whitkirk zwar nicht gerade berühmt, doch die meisten hatten von seinem Selbstmord gehört. »Was hatte der denn mit dieser ganzen Geschichte zu tun?«
»Sie haben sein Buch nicht gelesen?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein«, sagte er, »natürlich nicht. Nun ja, das war Jahre später. Wiseman fand raus, was wir getan hatten – das heißt, zumindest
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