Schwarze Engel
hineinkam?«
»Sie meinen in Charlottes Web? Mein Mann ist nicht besonders intelligent, Detective Bosch. Er ist reich, und das verleiht einem immer den Anschein von Intelligenz. Um sich die einzelnen Schritte nicht merken zu müssen, schrieb er sie sich auf und versteckte den Zettel in seinem Schreibtisch. Ich fand ihn. Ich kann mit Computern umgehen. Ich kam an diesen grauenhaften Ort … ich sah Stacey dort.«
Wieder keine Tränen. Das wunderte Bosch. Kate Kincaids Stimme war inzwischen ein monotones Leiern. Es schien, als erzählte sie die ganze Geschichte aus reinem Pflichtbewußtsein. Welche Wirkung sie auf sie persönlich hatte, war abgehakt und erledigt, von der Oberfläche entfernt.
»Glauben Sie, der Mann, der auf diesen Bildern mit Stacey zu sehen ist, ist Ihr Mann?«
»Nein. Wer das war, weiß ich nicht.«
»Woher wollen Sie das so sicher wissen?«
»Mein Mann hat ein Muttermal. Eine Verfärbung am Rücken. Auch wenn ich sagte, er wäre nicht sehr intelligent, war er zumindest intelligent genug, sich nicht in dieser Website zu zeigen.«
Bosch dachte nach. Auch wenn er persönlich keine Zweifel an Kate Kincaids Aussagen hatte, war ihm dennoch bewußt, daß sie durch konkrete Beweise untermauert werden mußten, um gegen Kincaid Anklage erheben zu können. Aus demselben Grund, aus dem sie geglaubt hatte, mit ihren Anschuldigungen nicht zur Polizei gehen zu können, mußte Bosch, wenn er Sam Kincaid im Büro des District Attorney anschleppte, Beweise vorlegen können, die seine Schuld zweifelsfrei erwiesen. Alles, was er jedoch im Moment hatte, war eine Ehefrau, die von ihrem Mann schlimme Dinge behauptete. Der Umstand, daß Kincaid anscheinend nicht der Mann war, der auf den Bildern im Internet mit seiner Stieftochter zu sehen war, stellte einen großen Verlust an konkretem Beweismaterial dar. Er dachte an die Durchsuchungen. In diesem Moment nahmen sich mehrere Teams Kincaids Wohnung und Büro vor. Bosch konnte nur hoffen, daß sie Beweise fanden, die die Behauptungen seiner Frau stützten.
»In Ihrer letzten Nachricht«, fuhr er fort, »warnten Sie Howard Elias. Sie schrieben ihm, Ihr Mann wüßte Bescheid. Meinten Sie damit, Ihr Mann wußte, daß Elias die geheime Website entdeckt hatte?«
»Zum damaligen Zeitpunkt, ja.«
»Warum?«
»Wegen seines Verhaltens. Er war sehr angespannt – und mißtrauisch mir gegenüber. Er fragte mich, ob ich mich an seinem Computer zu schaffen gemacht hätte. Daraus schloß ich, sie wußten, daß ihnen jemand nachschnüffelte. Deshalb schickte ich schließlich die Nachricht ab – aber jetzt bin ich nicht mehr so sicher.«
»Wieso? Howard Elias ist doch tot.«
»Ich bin nicht sicher, ob er es war. Das hätte er mir erzählt.«
»Wie bitte?«
Ihre Logik wollte Bosch nicht recht einleuchten.
»Er hätte es mir erzählt. Er hat mir das von Stacey erzählt, aus welchem Grund hätte er mir dann das mit Elias nicht erzählen sollen? Dazu kommt noch, daß Sie über die Website Bescheid wissen. Wenn sie gedacht hätten, Elias wüßte davon, hätten sie sie doch nur schließen oder woanders verstecken müssen?«
»Nicht, wenn sie vorhatten, den Eindringling umzubringen.«
Sie schüttelte den Kopf. Sie sah es nicht so, wie Bosch es offensichtlich sah.
»Trotzdem glaube ich, daß er es mir gesagt hätte.«
Bosch wurde noch immer nicht schlau aus ihren Aussagen. »Moment mal. Reden Sie jetzt von der Aussprache, die Sie zu Beginn dieser Unterhaltung erwähnten?«
Boschs Pager ging los. Ohne den Blick von Kate Kincaid abzuwenden, griff er danach und stellte ihn ab.
»Ja.«
»Und wann fand diese Aussprache statt?«
»Gestern abend.«
»Gestern abend?«
Bosch war bestürzt. Er hatte den vorschnellen Schluß gezogen, die Aussprache, die sie erwähnt hatte, läge Wochen oder sogar Monate zurück.
»Ja. Nachdem Sie gegangen waren. Aus den Fragen, die Sie gestellt hatten, schloß ich, daß Sie meine Nachrichten an Howard Elias gefunden haben mußten. Ich wußte, Sie würden Charlottes Web entdecken. Es war nur eine Frage der Zeit.«
Bosch blickte auf seinen Pager. Es war die Nummer von Lindells Handy, mit dem Notcode 911 dahinter. Er sah wieder zu Kate Kincaid auf.
»Erst dann brachte ich endlich den Mut auf, den ich all die Monate und Jahre nicht aufgebracht hatte. Ich stellte ihn zur Rede. Und er erzählte es mir. Und er lachte mich aus. Er fragte mich, warum es mir jetzt plötzlich etwas ausmachte, wo es mir doch, als Stacey noch lebte, nichts ausgemacht
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