Schwarze Engel
das spielte keine Rolle. Sie sind ihm alle etwas schuldig. Und abgesehen davon hätte es auch nichts gebracht. Ich rief Jim Camp an und fragte ihn, was passieren würde, falls sie außer Harris noch jemanden fänden, der an Staceys Entführung beteiligt gewesen sein könnte. Darauf erklärte er mir, sie hätten wegen des ersten Prozesses keine Chance, ihn zu belangen. Die Verteidigung bräuchte nur auf den ersten Prozeß zu verweisen und sagen, letztes Jahr hätten sie gedacht, es sei jemand anders gewesen. Das wäre bereits genug an berechtigten Zweifeln. Deshalb hätten sie vor Gericht keine Chance mehr.«
Bosch nickte. Er wußte, sie hatte recht. Der Prozeß gegen Harris war ein Haar in der Suppe, das man nicht mehr rausbekam.
»Vielleicht sollten wir an dieser Stelle eine kurze Pause einlegen«, schlug Bosch vor. »Ich müßte mal telefonieren.«
Er machte das Tonbandgerät aus. Dann holte er das Handy aus seinem Aktenkoffer und sagte Kate Kincaid, er werde sich den Rest des Hauses ansehen, während er telefonierte.
Als er durch das förmliche Eßzimmer in die Küche ging, wählte er Lindells Handynummer. Der FBI-Agent meldete sich sofort. Um zu vermeiden, daß seine Stimme ins Wohnzimmer drang, sprach Bosch sehr leise.
»Hier Bosch. Langsam tut sich was. Wir haben einen Zeugen.«
»Auf Band?«
»Auf Band. Sie sagt, ihr Mann hat ihre Tochter umgebracht.«
»Und Elias?«
»Soweit sind wir noch nicht. Ich wollte nur, daß Sie sich schon mal bereithalten.«
»Ich gebe den anderen Bescheid.«
»Schon jemanden gesehen?«
»Bisher nicht. Sieht so aus, als wäre der Mann noch zu Hause.«
»Und Richter? Er steckt da mit drin. Sie hat ihn belastet.«
»Wir sind nicht sicher, wo er ist. Falls er bei sich zu Hause ist, hat er sich noch nicht blicken lassen. Aber wir werden ihn finden.«
»Viel Glück bei der Suche!«
Nachdem er das Gespräch beendet hatte, blieb er im Durchgang zur Küche stehen und beobachtete Kate Kincaid. Sie hatte ihm den Rücken zugekehrt und schien auf die Stelle zu starren, wo er ihr gegenübergesessen hatte. Sie rührte sich nicht.
»Okay.« Bosch trat ins Wohnzimmer. »Darf ich Ihnen irgend etwas bringen? Ein Glas Wasser?«
»Nein, danke.«
Er stellte das Tonbandgerät an und wies sich und seine Gesprächspartnerin noch einmal aus. Außerdem gab er die genaue Uhrzeit und das Datum an.
»Sie wurden auf Ihre Rechte aufmerksam gemacht, Mrs. Kincaid. Trifft das zu?«
»Ja, das stimmt.«
»Möchten Sie das Gespräch fortsetzen?«
»Ja.«
»Sie erwähnten vorhin, Sie hätten beschlossen, Howard Elias zu helfen. Aus welchem Grund?«
»Er strengte zugunsten Michael Harris’ einen Prozeß an. Ich wollte, daß Michael Harris uneingeschränkt rehabilitiert würde. Und ich wollte, daß mein Mann und seine Freunde überführt würden. Mir war klar, daß sich die Behörden nicht unbedingt darauf einlassen würden. Aber ich wußte, Howard Elias war nicht Teil dieses Establishments. Er ließ sich nicht von Geld oder Macht beeinflussen. Nur von der Wahrheit.«
»Haben Sie jemals mit Mr. Elias direkt gesprochen?«
»Nein. Ich fürchtete, mein Mann könnte mich überwachen lassen. Ab dem Tag, an dem ich sie belauscht hatte, an dem ich erfahren hatte, daß er es gewesen war, konnte ich meinen Abscheu nicht mehr verbergen, ich war total von ihm abgestoßen. Er muß gespürt haben, daß ich etwas gemerkt hatte. Ich glaube, er ließ mich von Richter beobachten. Von Richter oder von Leuten, die für ihn arbeiteten.«
Bosch wurde klar, daß Richter ihr vielleicht auch hierher gefolgt war, möglicherweise ganz in der Nähe war. Lindell hatte gesagt, sie wüßten nicht, wo sich Kincaids Sicherheitsberater im Augenblick aufhielt. Bosch sah zur Eingangstür. Ihm war eingefallen, daß er sie nicht abgeschlossen hatte.
»Sie haben also Elias mehrere Nachrichten geschickt?«
»Ja, anonym. Wahrscheinlich wollte ich, daß er diese Leute entlarvte, ohne daß ich selbst davon betroffen würde … Ich weiß, das war egoistisch. Ich war eine schreckliche Mutter. Vermutlich stellte ich mir das Ganze so vor: Die bösen Männer würden vor aller Welt bloßgestellt, aber der bösen Frau würde nichts passieren.«
Bosch sah tiefen Schmerz in ihren Augen, als sie das sagte. Er wartete, daß ihr wieder die Tränen kämen, aber sie blieben aus.
»An diesem Punkt habe ich nur noch einige wenige Fragen«, sagte er. »Woher wußten Sie die Adresse dieser Internetseite und wie man in diese geheime Website
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