Schwarze Engel
vergewissert er sich, daß Sie niemandem im Schrank versteckt haben«, sagte Bosch. »Aber jetzt sehen Sie sich bitte dieses Bild an.«
Er schob das Foto über den Tisch, und sie sah es an, ohne es anzufassen.
»Kennen Sie den Mann?«
»Was soll das?«
»Kennen Sie ihn?«
»Natürlich.«
»Ist er ein Kunde?«
»Hören Sie, ich muß Ihnen einen Dreck erzählen –«
»IST ER EIN KUNDE?« brüllte Bosch, und sie verstummte.
Edgar kam aus dem Loft zurück und durchquerte den Wohnraum. Er warf einen Blick in die Kochnische, entdeckte nichts, was ihn interessierte, und ging die Treppe hinunter, die sie hochgekommen waren. Bosch hörte, wie er den Treppenabsatz erreichte und dann weiter hinunterstieg, in das Dunkel.
»Nein, er ist kein Kunde, okay? Und würden Sie jetzt bitte gehen?«
»Wenn er kein Kunde ist, woher kennen Sie ihn dann?«
»Sie haben echt Nerven. Haben Sie heute noch nicht ferngesehen?«
»Wer ist er?«
»Er ist der Typ, der erschossen wurde, dieser –«
»Harry?«
Es war Edgar, der von unten hochrief.
»Was ist?«
»Ich glaube, du solltest mal kurz hier runterkommen.«
Bosch wandte sich Rider zu und nickte.
»Kannst du so lange übernehmen, Kiz? Sprich du mit ihr.«
Bosch ging die Treppe hinunter. Aus dem dunklen Raum drang inzwischen ein roter Lichtschein. Am Ende der Treppe kam ihm Edgar mit weit aufgerissenen Augen entgegen.
»Was ist?«
»Das mußt du dir mal ansehen.«
Als sie durch den Raum gingen, sah Bosch, daß es ein Schlafzimmer war. Eine Wand war total verspiegelt. An der Wand gegenüber stand ein hochgestelltes Krankenhausbett. Die Plastiklaken darauf waren mit Haltegurten festgeschnallt. Daneben standen ein Stuhl und eine Stehlampe mit einer roten Birne.
Edgar führte Bosch in einen begehbaren Kleiderschrank. An der Decke brannte eine weitere rote Glühbirne. An den Kleiderstangen zu beiden Seiten des Schranks hing nichts. Aber auf einer Seite des Schranks stand, die Beine gespreizt, die Arme hoch erhoben, ein nackter Mann, dessen Handgelenke mit Handschellen an die Kleiderstange gekettet waren. Die Handschellen waren vergoldet und reich verziert. Die Augen des Mannes waren verbunden, in seinem Mund steckte ein roter Ball, der als Knebel diente. Über seine Brust liefen rote Striemen, die von Fingernägelkratzern herrührten. Und zwischen seinen Beinen hing eine volle Literflasche Cola, die mit einem Lederriemen an seinem Penis festgebunden war.
»Gütiger Himmel«, hauchte Bosch.
»Ich habe ihn gefragt, ob er Hilfe braucht, aber er hat den Kopf geschüttelt. Ich schätze, er ist ihr Kunde.«
»Nimm ihm den Knebel raus!«
Bosch schob dem Mann die Augenbinde auf die Stirn hoch, während ihm Edgar den Knebel herausnahm. Um sein Gesicht abzuwenden, riß der Mann den Kopf nach rechts. Außerdem versuchte er, einen Arm davorzuhalten, aber die Handschellen hinderten ihn daran. Der Mann war Mitte Dreißig und gut gebaut. Er machte nicht den Eindruck, als könnte er sich gegen die Frau dort oben nicht zur Wehr setzen. Wenn er wollte.
»Bitte«, stieß er verzweifelt hervor. »Lassen Sie mich in Ruhe. Es ist alles okay. Aber lassen Sie mich bitte in Ruhe.«
»Wir sind von der Polizei«, sagte Bosch. »Sind Sie sicher?«
»Natürlich bin ich sicher. Denken Sie, wenn ich Hilfe bräuchte, würde ich nicht darum bitten? Ich brauche Sie hier nicht. Es geschieht alles mit meinem vollen Einverständnis, und es ist nichts Sexuelles. Lassen Sie uns bitte in Frieden.«
»Harry«, sagte Edgar. »Ich glaube, am besten sollten wir einfach wieder rausgehen und vergessen, daß wir diesen Typen überhaupt gesehen haben.«
Bosch nickte, und sie verließen den Schrank. Als er sich im Raum umblickte, sah er, daß über dem Stuhl Kleider lagen. Er ging darauf zu und sah in den Hosentaschen nach. Er zog die Brieftasche heraus und ging damit zu der Stehlampe, dann öffnete er sie und sah sich im roten Licht den Führerschein an. Er spürte, wie Edgar sich hinter ihn stellte und über seine Schulter blickte.
»Sagt dir der Name was?«
»Nein. Dir?«
Bosch schüttelte den Kopf und klappte die Brieftasche zu. Dann steckte er sie in die Hosentasche zurück.
Rider und Regina sagten nichts, als sie wieder nach oben kamen. Bosch musterte Regina, und er glaubte, einen Ausdruck des Stolzes und den Anflug eines Lächelns in ihrem Gesicht zu entdecken. Sie wußte, was sie da unten gesehen hatten, hatte sie schockiert. Er sah Rider an und merkte, daß auch ihr ihre betretenen Gesichter nicht
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