Schwarze Fluten - Roman
zukünftiger Zeit, die in den gegenwärtigen Moment eindrangen.
Es wäre mir lieber gewesen, wenn es in Roseland nur gespukt hätte. Mit Geistern konnte ich umgehen.
Früher hatten die an der Decke angebrachten Lampen den Weg zur Bibliothek ganz normal erleuchtet. Nun jedoch herrschte in beiden Fluren nur ein trübes Licht. In dem längeren Flur sah ich zwei Türen an der linken Seite, eine rechts und eine am Ende.
»Jam Diu meint, man kann es nicht ganz verstehen«, sagte Timothy. »Nicht mal Tesla kann das.«
Im Salon waren die Biester ebenso verstummt wie die Schrotflinte. Wenn es Sempiterno gelungen war, die beiden zu töten, dann lud er gerade nach, um uns anschließend zu verfolgen.
»Ich habe Angst«, sagte Timothy.
»Ich auch.«
In dem kurzen Flur boten uns weder die Toilette noch der Wandschrank oder die Bibliothek am anderen Ende irgendwelche Sicherheit. Das war eine Sackgasse.
Die beste Option war die Küche. Von dort konnten wir über die Treppe in den Weinkeller gelangen.
Ich ließ den Jungen los und nahm die Beretta in beide Hände. »Los, hier entlang«, sagte ich und deutete auf den längeren Flur. »Was haben wir schon zu verlieren?«
45
Die erste Tür schwang nach innen auf. Ich blickte in einen von goldenem Leuchten erfüllten Schacht. Seine Dimensionen waren nur schwer abzuschätzen, da an den Wänden Spiegel hingen, die das Auge täuschten wie ein Spiegellabyrinth auf dem Jahrmarkt.
Leuchtende Spiralformen drehten sich mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Sie sahen aus wie die Papierspiralen, die man als Geburtstagsdekoration an die Decke hängt, aber sie waren nicht aus Papier. Wie riesige Bohrerspitzen mit breiten Rillen wanden sie sich durch den Schacht. Eine Decke war nicht zu sehen; die sich drehenden Formen tauchten etwa sechs Meter über mir aus einer Art dichtem Nebel auf, um sechs Meter unter mir in einem anderen Nebel zu verschwinden. In einem Moment schienen sie sich in die Erde zu bohren, während sie sich im nächsten nach oben bohrten.
Wie anderswo, so arbeitete auch hier die Maschinerie in vollkommener Stille. Was wie die Schneidekanten eines Bohrers aussah, glänzte wie geschmolzenes Gold, die Rillen dazwischen waren silbern und scheinbar so flüssig wie Quecksilber.
Beim Anblick der Spiralen, die sich, immer kleiner werdend, unendlich in den Spiegeln wiederholten, wurde mir schwindlig. Ich fühlte mich hypnotisch angezogen und zog rasch die Tür zu, um nicht wie in Trance über die Schwelle zu treten und in die neblige Tiefe zu stürzen.
Ich blickte zur Gabelung der beiden Flure zurück, wo wir vom Salon hereingekommen waren. Noch war uns niemand gefolgt.
»Folge mir«, wies ich den Jungen an, damit ich zwischen ihm und Sempiterno stand, falls der mit seiner Flinte plötzlich auftauchte.
Als ich den Knauf der zweiten Tür ergriff, war er eiskalt. Fast wäre meine Hand am Messing festgeklebt.
Dahinter herrschte eine so tiefe Dunkelheit, dass es sich nicht um einen Raum oder einen Schacht zu handeln schien. Ich stand vor einer vollständig schwarzen Leere, die mir wie ein Blick in das Nichts am Ende des Universums vorkam.
Das Licht im Flur war trüb, hätte jedoch wenigstens ein paar Zentimeter an diesen seltsamen Ort vordringen müssen. Stattdessen war die Trennung zwischen Licht und reinster Dunkelheit so scharf wie die Kante einer Türschwelle.
So etwas hatte ich schon einmal gesehen, zu Hause in Pico Mundo. Ich hob die Hand, um festzustellen, ob ich an eine feste Masse stieß, doch meine Finger und dann die gesamte Hand verschwanden einfach in der Schwärze. Nichts mehr davon war sichtbar, als hätte man mir die Hand amputiert, sodass nur noch ein Armstumpf übrig geblieben war.
Im ersten Band meiner Memoiren habe ich beschrieben, wie ich einen solchen Raum im Haus eines üblen Typen fand, den ich den Pilzmann taufte. Damals hatte der Raum erst völlig gewöhnlich ausgesehen, dann schwarz und dann wieder gewöhnlich.
Ich will nicht noch einmal erzählen, was aus dem Raum in Pico Mundo kam, denn darauf wollte ich jetzt und hier definitiv verzichten. Ich zog die Hand heraus, schloss die Tür und sah den Jungen an, der sichtlich staunte, dass meine Hand noch vorhanden war.
»Hast du das schon einmal gesehen?«, fragte ich.
»Nein.«
Inzwischen hätte Sempiterno uns längst folgen sollen. Vielleicht hatte er die beiden Biester zwar getötet, war dabei jedoch selbst ums Leben gekommen. Falls das der Fall war, würde ich bestimmt keine Blumen zu seiner
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