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Schwarze Fluten - Roman

Schwarze Fluten - Roman

Titel: Schwarze Fluten - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dean Koontz
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hingehörten. Ich legte den Kissenbezug mit der Metallsäge ab, beugte mich über einen der Tische und zog am Ring. Das Rollo hob sich.
    Der Blick durchs Fenster war so verblüffend, dass ich wie gelähmt dastand. Als ich mich wieder bewegen konnte, trat ich zum anderen Tisch, um das Rollo dahinter zu öffnen, als hoffte ich, dort eine andere Szenerie oder die nackte Betonwand, die da hätte sein sollen, vorzufinden. Es bot sich mir exakt derselbe Blick.
    Neben der Tür, durch die ich hereingekommen war, gab es eine zweite, genau zwischen den Schreibtischen. Ich ging zu ihr, zögerte, öffnete sie und trat hinaus.
    Der lange Fahrweg, der vom Haupthaus zur Landstraße hinabführte, war nicht mit Kopfsteinpflaster belegt, sondern mit Kies. An seinem anderen Ende standen weder ein Pförtnerhaus noch ein Tor, um den Zugang zu Roseland zu verwehren.
    Auch von einer Mauer war das riesige Anwesen nicht umgeben. Das Gelände, das sich noch in seinem natürlichen Zustand befand, war von den Nachbargrundstücken lediglich durch eine Reihe weiß lackierter Holzpfähle abgetrennt, die seine Grenze markierten.
    Die parkähnliche Landschaft war nicht vorhanden. Stattdessen sah ich Wiesen mit hüfthohem Gras, beschattet von wesentlich weniger Bäumen, als ich bei meinen Streifzügen gesehen hatte.
    Regelrecht benommen von dem unmöglichen Anblick, ging ich einige Schritte den Kiesweg entlang, bevor mir klar wurde, dass ich mich von der Tür entfernte.
    Als ich mich umdrehte, sah ich keine prächtigen Mauern mehr hinter mir. Es war, als hätte Wolflaws Domizil sich in Luft aufgelöst.
    Stattdessen standen da zwei andere Gebäude. Eines war eine Bretterhütte mit einem Dach aus Teerpappe und vier Fenstern, die eine offene Tür flankierten. Das musste das Baubüro sein, aus dem ich gerade getreten war.
    Das zweite, etwa dreißig Meter links davon, war offensichtlich ein Klohäuschen.
    Für die meisten Menschen ist die Realität so simpel wie ein Gemälde, das in ihrem Bezugsrahmen vor ihnen hängt, vertraut und niemals hinterfragt. Ich hingegen lebe mit dem Bewusstsein, dass sich unter der Oberfläche dieses Gemäldes zahllose Schichten befinden, ältere Szenen, die übermalt wurden. Jeder Physiker, der sich in Quantenmechanik oder der Chaostheorie auskennt, weiß, dass die Realität ein Ding mit geheimnisvollen Dimensionen und Möglichkeiten ist. Je mehr wir darüber erfahren, desto deutlicher wird uns, wie viel wir nicht wissen.
    Weil dieses Verständnis der Realität mein Leben geprägt hat, werfen mich verblüffende Ereignisse nur selten um. Deshalb stand ich angesichts der Abwesenheit des mir bekannten Roseland immer noch auf den Beinen, kam mir aber vor wie Wile E. Coyote, wenn er gerade von einem Bulldozer überfahren worden ist.
    Mein bisheriger Eindruck, dass der Architekt hier eine neue Geometrie mit mysteriösen Dimensionen verwirklicht hatte, war belanglos, verglichen mit dem Schock meiner neuesten Entdeckung. Ich erinnerte mich daran, dass ich nicht in der Lage gewesen war, mir den Weg von einem Raum des Hauses in einen anderen zu merken, und an mein Gefühl, dass irgendwie mehr vorhanden gewesen war, als das Auge sah. Nun ahnte ich, warum.
    Motorengeräusch ließ mich aufhorchen. Auf der stümperhaft geteerten Landstraße kamen zwei Oldtimer angefahren, der eine von Süden und der andere von Norden her. Sie sahen aus wie das Modell T von Ford, schwarz mit offenem Verdeck.
    Als sie ungefähr da, wo eines Tages das Tor von Roseland stehen würde, aneinander vorbeifuhren, tauchte im Norden ein weiteres Fahrzeug auf. Es war ein mit Heuballen beladenes Pferdefuhrwerk, das die Straße entlangrumpelte, begleitet vom Geräusch klopfender Hufe.
    Ich stand da und zitterte, nicht vor Angst, sondern vor Verwunderung. Mein Herz klopfte heftig, aber schneller als der Hufschlag des Zugpferds dort drüben.
    Mit gemächlichen Flügelschlägen segelten drei Enten durch die Thermik, lautlos wie die Schwungräder und die rotierenden Kugeln unter dem Mausoleum, das hier noch nicht existierte.
    Wäre ein Flugzeug am Himmel aufgetaucht, so hätte es sich um einen Doppeldecker gehandelt, nicht um einen Düsenjet. Hier war noch kein Ozean überflogen worden, und es gab keine Stiefelspuren auf dem Mond.
    Eine leichte Brise kam von Norden, und ich erschrak. Wenn die Tür der Hütte zuschlug, wurde womöglich eine Verbindung unterbrochen, sodass ich nicht mehr hineingelangte, um in das Roseland des einundzwanzigsten Jahrhunderts

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