Schwarze Heimkehr
stürzen. Ich will ihm nachfolgen. Was soll ich ohne ihn tun? Ich kann es mir nicht vorstellen.
Donald liebte mich, und ich wußte es. Ich bin mir jetzt sogar sicher, daß er mich mehr geliebt hat als Mama. Ich hasse ihn dafür, und auch noch wegen anderer Dinge. Aber das alles kann mich nicht davon abhalten, ihn zu lieben. Ganz im Gegenteil. Es ist, als ob vieles von dem, was er getan hat, uns noch enger zusammengeschweißt hat. Es ist seltsam. Mama hat ihn wegen seiner Grausamkeit gehaßt. Sie hat es nie ertragen. Ich glaube, deshalb habe ich mich ihm sklavisch ergeben. Sklavisch ist das richtige Wort. Ich hätte alles getan, was er von mir verlangt hätte. Alles. Und das war das Geheimnis - das war das Band zwischen uns. Er hätte von mir verlangen können, mir ein Messer in die Brust zu stoßen, und ich hätte es getan, ohne einen zweiten Gedanken an die Sache zu verschwenden. Nicht, daß er das wirklich verlangt hätte. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, seinen Penis als Waffe einzusetzen.
Es hat weh getan, aber der Schmerz war so süß. Ich kam mit Tränen in den Augen, und mein Körper zitterte. Manchmal habe ich geblutet. Nur ganz wenig, ein paar Tropfen, karmesinrote Punkte. Auch das band uns enger aneinander, wie ein Schwur. Wir haben das Blut an unseren Händen und auf unseren Knien gemeinsam abgewischt, und danach war er so zärtlich.
Als er mir erzählte, daß er schon damit begonnen hatte, mich abzurichten‚ als ich noch sehr jung war, habe ich sofort an Die Geschichte der O. gedacht, die er mir zu lesen gegeben hatte, als ich zehn war. Ich habe das Buch wieder und wieder gelesen, bis ich ganze Passagen daraus auswendig kannte. Wenn wir zusammen waren, habe ich manchmal daraus rezitiert, und das schien ihn wie nichts anderes zu erregen. Aber dann habe ich es begriffen. Er liebte die Tatsache, daß ich seine Lektion so vollständig gelernt hatte.
Er hat mich gefragt, ob ich finde, daß wir etwas Schlimmes tun. Ich erinnere mich, daß ich ihm in die Augen geschaut und dort etwas entdeckt habe, was ich nie zuvor gesehen hatte: Angst. Da begriff ich, daß er genauso versklavt war wie ich. Hier existierten wir, zusammen, von der Welt getrennt. Es kam mir so vor, als ob wir nur dann leben würden, wenn wir zusammen waren. Außerhalb von diesem Kreis aus Geheimnissen ließen wir einfach die Stunden verstreichen und lebten vor uns hin. Aber das war kein Leben. Die Sehnsucht nach dem anderen, die Verleugnungen, und dann, nach all der Zurückhaltung, der Freudenrausch des Schmerzes und diese vereinzelten karmesinroten Blutstropfen - das war das Leben.«
Croaker atmete tief durch, und seine Vision von Rachel verschwand. Er fuhr sich mit der Hand über die Stirn und bemerkte, daß er schwitzte. Seit er erwachsen war, hatte er die meiste Zeit seines Lebens damit verbracht, im verworrenen Labyrinth der kriminellen Psyche herumzustochern. Man versuchte sich daran zu gewöhnen und Methoden zu finden, sich davon zu lösen, damit man nicht von dem ganzen Dreck überschwemmt wurde. Aber es war unmöglich, weil man seine Nase in etwas hineinsteckte, das im Grunde genommen das einzig wahre Heiligtum war.
Croaker hatte im Lauf der Jahre gelernt, sich durch solche Offenbarungen nicht schockieren zu lassen. Aber hier lag der Fall anders. Rachel war keine Kriminelle und keine Psychopathin. Sie war einfach ein Mädchen, das verzweifelt auf Hilfe angewiesen war. Und sie war seine Nichte.
Dieser fürchterliche, flüchtige Blick in ihr Seelenleben erschütterte ihn bis ins Mark. Wenn es stimmte, daß man nie wirklich wußte, was die Menschen dachten, dann stimmte es auch, daß man es meistens gar nicht wissen wollte.
Deshalb brannten Polizisten von der Mordkommission auch so schnell aus. Je besser sie waren, desto schneller ging es. Man konnte sich solchen Psychosen nur für eine gewisse Zeit nähern. Dann mußte man die Augen schließen und sich von dieser Sonne abwenden, die zu grell und zu nahe gekommen war.
Croaker wischte sich den Schweiß ab, griff wieder zu dem Tagebuch und begann, die zweite Hälfte zu lesen.
Seine Vision von Rachel, wie sie einmal gewesen war, kehrte zurück. Diesmal saß sie im Schneidersitz auf dem Fußboden mitten in ihrem Zimmer. »Es muß das Schicksal gewesen sein«‚ sagte ihre Erscheinung. »Als Ronald während einer medizinischen Untersuchung seine Hand auf meine nackte Brust legte, wurde meine Brustwarze steif, und er drückte sie solange, bis mir die Tränen kamen. Da war mir
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