Schwarze Heimkehr
klar, daß ich ihm gehörte. Ich habe ihn nach der ersten Sitzung gefragt, woher er es gewußt hatte. Er antwortete, er hätte es in meinem Blick erkennen können. Ich wollte wissen, was er dort gesehen hatte. ›Du warst nackt, und als du mich angeblickt hast, wußte ich, daß es keine Barriere zwischen uns gibt‹, antwortete er mir. Vielleicht ist das die Definition der Unterwerfung. Dann stellte er mir die Frage, an die ich mich immer erinnern werde: ›Ich habe dich schon viele Male nackt gesehen. Aber da war immer diese Mauer, diese innere Abschottung. Was hatte sich heute geändert?‹
Ich wußte natürlich Bescheid. Donalds Tod hatte mich verändert. Und da sah ich eine Möglichkeit, weiterleben zu können. Es ist schön, mit Gideon zusammenzusein. Ich kann sogar sagen, daß ich sie liebe. Aber Liebe reicht mir nicht. Es gibt da diese Sache in meinem Inneren, für die ich keinen Namen finde. Es ist das Bedürfnis, das Donald angestoßen und das auch Ronald in meinem Blick erkannt hat. Ich brauche das und muß es einfach haben. Jetzt kann ich weiterleben. Wir werden mit unseren Sitzungen fortfahren. Ich werde überleben ….«
Die Sitzungen - wie Rachel ihre sadomasochistischen sexuellen Rendezvous nannte - waren also weitergegangen. Dr. Stansky war an die Stelle ihres Vaters, Donald Duke, getreten. Das Ganze war eine krankhafte Geschichte, die immer schlimmer wurde. Was für Defekte mußte Rachel haben, daß sie sich an diese Gewohnheiten klammerte? Sie mußte so ernsthaft Schaden genommen haben, daß sie von allen mißverstanden wurde. Es gab etwas, was sie von allen anderen trennte und es für andere Menschen unmöglich machte, sie wirklich zu kennen, sogar für Gideon. Croaker wollte sie in die Arme nehmen und sie beschützen. Sein Herz brach, weil Rachel sich nur nach einem sehnte: nach Liebe. Wenn sie es nur wüßte.
Falls er diese Prüfung überlebte, mußte er dafür sorgen, daß sie ein völlig neues Leben begann. Und das bedeutete, daß er Matty alles erzählen mußte.
Aber nicht jetzt. Noch nicht.
Er war so in seine Gedanken verstrickt, daß er es fast übersehen hätte. Aber irgend etwas hatte sich im Netz seiner Erinnerung verfangen, und so blätterte er zur vorletzten Seite zurück. Die Eintragung war drei Tage vor Rachels Zusammenbruch niedergeschrieben worden.
»Die letzte Sitzung war seltsam - obwohl jede irgendwie seltsam ist. Donald hat mir mal erzählt, daß die dunklen inneren Mächte ihre ganze Kraft zeigen, wenn man sich ihnen öffnet und überläßt. Aber diesmal war es seltsamer als sonst. Ich glaube, es lag daran, daß wir nicht allein waren. Anfangs waren wir oft nicht allein. Während der medizinischen Untersuchungen war natürlich Ronalds Arzthelferin in der Nähe, die mir Blut oder den Abstrich abnahm. Ich glaube, er mußte diese Untersuchungen machen, um einen Vorwand dafür zu liefern, daß ich so oft in die Klinik kam. Aber nach der Untersuchung verließ die Schwester immer den Raum, und Donald und ich waren allein und konnten unsere Reise beginnen. Es war seltsam, aber erregend, es im Untersuchungszimmer zu treiben, mit all den medizinischen Geräten. Ich glaube, daß Donald mich deshalb nie in ein Hotel oder sonst wohin mitgenommen hat. In einem Hotelzimmer hätte es auch nicht dieses Arzt-Patient-Verhältnis gegeben.
Aber diesmal war jemand bei ihm. Ein großer schlanker, dunkelhäutiger Mann. Er wirkte wie ein Schatten. Ronald fragte, ob es mich stören würde. Der Mann wollte uns zusehen. Er würde mich nicht berühren und kein Wort sagen, nur zugucken. Irgendwie gefiel mir das. Es erinnerte mich daran, wie ich mich manchmal in Donalds Gegenwart gefühlt hatte. Obwohl ich wußte, daß es Mama fürchterlich verletzen würde, wollte ich, daß sie uns zusammen sah. Das wäre die einzige Möglichkeit für sie gewesen mich wirklich kennenzulernen, aber mir war klar, daß es nie so weit kommen würde.
Also sagte ich ›okay‹ und ließ den Mann zusehen. Er tat es, als hätte er es schon oft getan, weil er wußte, was es hieß zuzusehen. Es ging nicht einfach nur darum, Dinge zu sehen, sondern sie wahrzunehmen. Ich wußte, daß ihm alles, was wir taten, etwas bedeutete, und das hat unsere Lust unglaublich gesteigert.
Später, als Ronald sich wusch, ist der Mann auf mich zugekommen. Wir haben uns so lange angeblickt‚ daß ich das Gefühl hatte, meine Lungen würden bersten. ›Ich habe es nicht gewußt‹, sagte er. Das war so mysteriös, daß mich ein kleiner Schauer
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