Schwarze Herzen
vorgezogen, ihm tatkräftig zur Seite zu stehen, anstatt herumzusitzen und aus Langeweile mit dem Grübeln anzufangen. Aber nein, jedes Mal, wenn sie versuchte, mit anzupacken, hatte er sie verscheucht. Zum Schluss sogar gedroht, zu gehen, sollte sie nicht bald endlich Ruhe geben. So hockte sie also hier in ihrer Ecke, das Kinn auf die Hände gestützt, frustriert. Nutzlos.
Ich bin nicht schwach, verdammt. Auch wenn ich mich, zugegeben, lange Zeit wie ein Schwächling aufgeführt habe .
Damals, als Kind, hatte sie eines schrecklichen Tages feststellen müssen, dass sie den Willen ihrer eigenen Mutter gebrochen hatte. Dass von der einst so energischen, lebensfrohen Göttin nur noch eine leblose Hülle übrig geblieben war. Verstört hatte sie sich in sich selbst zurückgezogen, voller Angst vor den Kräften, die in ihr schlummerten. Vor dem, was sie noch alles anrichten könnte, beabsichtigt oder nicht.
Leider gesellten sich zu dieser Angst bald weitere, als hätte sie eine Tür aufgestoßen und ein Willkommensschild darüber aufgehängt. Nur hereinspaziert . Und das waren sie, eine nach der anderen. Furcht vor Fremden, Orten, Gefühlen. Jahrhunderte lang hatte sie sich wie eine verschüchterte Maus verhalten, genau wie Luzifer gesagt hatte.
Unter all diesen Ängsten jedoch war sie noch immer die Göttin,als die sie geboren worden war. Unterdrückung. Sie forderte heraus. Sie wich niemals zurück, egal, wie übermächtig ihr Gegner auch schien. Bitte lass mich nicht zurückweichen. Nie wieder .
„Mehr kann ich nicht tun. Hoffen wir, dass es lange genug hält“, sagte Geryon.
Kadence hatte sich auf einen Felsbrocken in der Nähe gesetzt und erhob sich nun eilig. Das Gewand fiel ihr über die Knöchel, leicht flatterte der Saum im Luftzug.
„Sobald ich das Tor geöffnet habe“ – das Tor, hinter dem sich der Schlund der Hölle auftat –, „müssen wir schnell sein. Es wird nur einen schmalen Spalt weit aufgehen, kaum genug, sich hindurchzuzwängen, aber es geht nicht anders.“ Denn sonst würden sie riskieren, dass jemand – oder etwas – die Gelegenheit nutzte und entkam.
„Ich verstehe“, sagte sie und trat dicht neben ihn.
„Auf der anderen Seite ist weder ein Vorsprung noch sonst etwas, das uns Halt geben würde. Wir müssen uns an der Mauer entlang bis nach unten hangeln.“
Erst als sie ihm mit einem knappen Nicken signalisiert hatte, dass sie bereit war, begann er die Steine auseinanderzuschieben, und laut knirschend gab das Tor langsam nach.
Kaum war der besagte Spalt entstanden, schossen auch schon glühend heiße Flammen und schuppige Arme daraus hervor, und schrille, wahnsinnige Schreie erfüllten die Luft. Geryon ging als Erster hinein und brüllte den herbeigeströmten Massen entgegen, sie sollten gefälligst verschwinden. Zu ihrer Überraschung sah sie die Dämonen tatsächlich auseinanderstieben, als sie ihm kurz darauf folgte. Die Flammen erloschen, und die Schreie verstummten. Ein Teil von ihr wollte glauben, dies wäre geschehen, weil sie Angst vor ihr hatten. Der andere wusste, es waren Geryons tödliche Klauen, die sie fürchteten.
Mit aller Kraft klammerte sie sich an der steil nach unten führenden Steinwand fest, während Geryon den Spalt von innen wieder schloss. Loszulassen hätte den freien Fall in den Höllenschlund bedeutet, ein klaffendes, brodelndes Loch, das nur darauf wartete, sie zu verschlingen.
Handflächen… schweißnass…
„Bereit?“ Zentimeter für Zentimeter kam Geryon vorsichtig auf sie zugeklettert. Er hatte sich auf die linke Seite des Tores geschwungen, sie auf die rechte. „Bereit?“, fragte er noch einmal und streckte ihr die Hand entgegen.
„Ja.“ Endlich erfahre ich, wie er sich anfühlt. Sicherlich nicht so traumhaft, wie ich es mir erhoffe. Nichts kann so wunderbar sein . Doch kurz bevor es so weit war, glitt sein Arm über ihren Kopf hinweg und er befand sich plötzlich hinter ihr, dann neben ihr – und das alles, ohne sie auch nur zu berühren. Sie seufzte enttäuscht und krallte die Finger noch fester in die Mauerritzen, während sie versuchte, auf einem winzigen, bröckligen Vorsprung unter ihren Füßen die Balance zu halten, so gut sie konnte.
„Dort entlang.“ Er nickte zu dem Riss hinüber, den die Dämonen verursacht hatten. Auf dieser Seite war er deutlich breiter, als es von außen den Anschein machte.
„In Ordnung. Und Geryon? Danke. Für alles.“ Normalerweise teleportierte sie sich direkt in Luzifers Palast, ohne
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