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Schwarze Küsse

Schwarze Küsse

Titel: Schwarze Küsse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joaquín Guerrero-Casasola
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auf dem in großen Buchstaben ›Jugendhilfezentrum Esperanza‹ stand.
    »Dort habe ich Roberto kennengelernt«, sagte der Pater.
    »Roberto war ein Straßenjunge? Wie ist das möglich, wo sein Vater Richter ist?«
    »Straßenkinder stammen aus den unterschiedlichsten Milieus.«
    »Hat er Ihnen nicht gesagt, dass sein Vater Richter ist?«
    »Zu viele Kinder, zu viele Geschichten, um sie sich alle zu merken.«
    »Wann haben Sie ihn aus den Augen verloren?«
    »Als er nicht mehr in die Fürsorgeeinrichtung kam.«
    »Und Sie haben ihn nicht gesucht, um weiter für ihn zu sorgen?«
    »Ich habe es dir doch schon gesagt, zu viele Kinder, zu viele Geschichten, um sie sich alle zu merken.«
    »Wozu ihn auch suchen, wo er schon völlig verdorben und verbraucht war …«
    »Das stimmt nicht! Ich habe ihm so vieles beigebracht. Jeden Samstag nahm ich ihn mit in die Irrenanstalt, zu den Armenspeisungen, überallhin, wo er lernte, Menschen zu helfen, die ernstere Probleme hatten als er selbst! Das hat ihn von sich abgelenkt, von seinen Selbstmordversuchen! Soll er es dir selbst sagen, wenn du ihn findest! Soll er dir sagen, ob er einen Groll gegen mich hegt! Ich habe ihm das Beste von mir gegeben!«
    Ich wollte den Pater an einem Haarbüschel aus dem Stuhl zerren, aber es blieb in meiner Hand hängen, also packte ich ihn stattdessen am Genick und quetschte ihm mit der anderen Hand die Eier.
    »Das Beste von Ihnen, Sie Arschloch?«, fragte ich grausam.
    Die Augen des Paters füllten sich mit Panik. Ich stieß ihn nach hinten, weil ich wusste, dass dort ein Sessel stand, auf den er fallen würde. Genauso war es auch. Er drehte sich auf den Bauch, als wollte er sein Gesicht verbergen.
    Ich griff nach der Brandyflasche und trank direkt daraus. Dann sagte ich: »Sie haben ihm also einen Lebensinhalt verschafft, nämlich seinen Nächsten zu helfen. Eine große Tat für jemanden, der weder weiß, was aus ihm geworden ist, noch, dass er der Sohn eines wichtigen Richters war. Ich glaube, Sie sagen mir nicht die ganze Wahrheit. Sagt Ihnen der Nachname Oviedo etwas?«
    Ich erhielt keine Antwort.
    Ich nahm die Pistole und war fest entschlossen, ihm diesmal einen richtigen Schrecken einzujagen. Mit einer plötzlichen Bewegung riss ich ihn herum. Sein Mund stand offen. Weit offen. Als wäre ihm der größte Schrei seines Lebens im Hals stecken geblieben. Nie zuvor hatte ich einen offeneren Mund gesehen. Kein Kiefer kann sich derart weit öffnen, ohne zu brechen.
    Ich berührte seine Halsschlagader. Er war tot.

 
     
     
     
     
     
    I ch brauchte kein Morphium, um ruhig zu schlafen. Nur die 45er unter dem Kopfkissen. Ich hatte auch keine Albträume. Irgendwann hörte ich Geräusche im Wohnzimmer, eine Stimme, die sang. Es war Lupe. Ich nahm ein Bad und ging in die Küche, um zu frühstücken. Lupe stellte mir einen Teller mit Speckgrieben in grüner Soße und Tortillas hin, und dazu eine kalte Pepsi-Cola. Sie bat mich um Urlaub für die Allerseelenfeiertage in der nächsten Woche. Dann fragte sie, ob ich noch etwas brauchte, bevor sie ging.
    »Putz das Klo mal ordentlich, du schrubbst nie den Belag ab. Und danach gehst du zum Supermarkt und holst mir meine Tüte mit Trockenpflaumen. Die esse ich nämlich, so ganz im Vertrauen, nicht zum Spaß, sondern zum Abführen.«
    »Sonst noch was, Señor?«, fragte sie trotzig.
    Ich gab ihr ihr Geld. Sie zählte es nach und verstaute es auf altmodische Art zwischen den Brüsten.
    »Ich werde an Allerseelen eine Kerze für Ihren Vater anzünden.«
    Ich wusste nicht, ob ich ihr danken oder sie zum Teufel wünschen sollte. Ihre Absichten erschienen mir so aufrichtig wie die einer Schlange, schließlich behauptete sie, mein Vater hätte ihr immer hinterherspioniert, wenn sie badete. Sie heuchelte mir also entweder etwas vor oder sie hatte ihm tatsächlich verziehen.
    Lupe ging.
    Ich lud die 45er und ging ebenfalls auf die Straße hinaus.
    Im Auto versteckte ich sie unterm Sitz, denn wo ich hinfuhr, würde man sie mir sonst abnehmen.
    Es war ein Besuch, der zur Routine geworden war, ich machte ihn an jedem Monatsende. Ich suchte meinen persönlichen Priester auf, meinen Hauspsychologen. Als er ins Besucherzimmer kam, streckte er mir erwartungsvoll die Hand entgegen. Ich ließ die Tüte mit den Milchbonbons auf den Tisch gleiten. Seit ich den Fall Alicia del Moral gelöst hatte (deren Vater Besitzer einer Süßwarenfabrik war), fand José Chón an zwei Dingen Gefallen: dass ich ihm erzählte, wie seine

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