Schwarze Rose der Nacht - Amber, P: Schwarze Rose der Nacht
belästigen würden. Es würde unangenehm und peinlich sein – aber nicht gefährlich, denn sie wusste aus Erfahrung, dass diese Seebären nur selten einer Frau Gewalt antaten.
Entschlossen steuerte sie auf die Kneipe zu, sah bereits das kupferne Schild über dem Hauseingang baumeln, da hörte sie das Klappern von Pferdehufen auf der holprigen Straße. Ein Hansom näherte sich der Kneipe, hielt dicht davor an und drei Frauen stiegen aus. Im Schein der Kutschenlaternen konnte Violet deutlich die hochgetürmten Haare und auffallenden Hüte erkennen, sie trugen kurze Umhänge in grellen Farben und hoben ihre Röcke bis über die Knie empor, als sie laut schwatzend über die Pfützen zur Kneipe hinüber liefen.
„He du da!“, rief eine grelle Stimme in Violets Richtung. „Verpiss dich, das ist unser Revier!“
„Was ist das denn für eine?“
„Nie gesehen. Drückt sich in den Ecken rum und lauert auf Freier.“
„Pass auf, dass der Mörder dich nicht holt. Er steht auf solche wie dich.“
Violet beobachtete, wie die Kneipentür aufschwang und das Licht für einen Moment über die Straße fiel, wo der Kutscher seinen Hansom gerade wendete. In der Kneipe nahm jetzt der Lärm zu, denn die drei Frauen wurden mit wohlwollenden Rufen begrüßt und an die Tische eingeladen, um den fröhlich lallenden Zechern Gesellschaft zu leisten.
Violet begann zu laufen, wäre in einem Haufen Unrat fast ausgeglitten doch sie erreichte den Hansom gerade noch in dem Moment, als der Kutscher das Pferd antrieb, um davon zu rasseln.
„Zur Cullum Street!“, rief sie dem Kutscher zu und riss den Kutschenschlag auf.
Grace würde ihr schon das Geld leihen. Sie musste doch einsehen, dass Violet in einem tief ausgeschnittenen Abendkleid und halb erfroren nicht stundenlang durch die dunklen Straßen laufen konnte. Von anderen Gefahren einmal ganz abgesehen.
Der Hansom startete nicht sofort, was Violet ein wenig wunderte und sie überlegte schon, ob der Kutscher ihre Anweisung auch richtig verstanden hatte. Doch bevor sie sich entschließen konnte, das Fenster zu öffnen, um nachzufragen, hörte sie, wie er kräftig schnalzte, um das Pferd zum Laufen zu bringen. Erleichtert ließ sie sich in die Polster fallen, zog die Füße hoch und entledigte sich der patschnassen Schuhe. Was für ein Jammer um die hübschen Abendpantöffelchen – sie waren durch das schmutzige Wasser restlos verdorben.
Die Kutsche bewegte sich in raschem Tempo voran und sie wurde heftig durchgeschüttelt, denn der Kutscher schien wenig Rücksicht auf umherliegende Steine oder Schlaglöcher zu nehmen. Es war ihr recht so – je eher sie in der Cullum Street war, desto schneller kam sie ins Warme. Wie würde Grace sie wohl empfangen? Ganz sicher war sie wütend, weil sie ohne Abschied verschwunden war – ja, sie hatte Grace nicht einmal von Marlows Angebot erzählt.
Ganz sicher war das ein Fehler gewesen. Grace war zwar keineswegs uneigennützig und hatte ihre eigenen Pläne mit ihr, Violet, verfolgt. Aber sie kannte sich mit Männern aus und hätte sie vermutlich gleich zu Anfang vor Marlow gewarnt. Dieser Mensch hatte die düstere Faszination einer großen Raubkatze. Er konnte kalt und unnahbar sein, dann wieder verführte er sein Opfer mit den erregendsten Zärtlichkeiten, um es schließlich, wenn er des Spiels überdrüssig war, mit Krallen und Zähnen zu zerreißen. Er war einer jener Männer, vor denen eine Frau sich hüten musste.
Der Hansom nahm die Kurven so hart, dass Violet in den Polstern hin und her geworfen wurde, einmal streifte das Gefährt eine Mülltonne, die scheppernd umfiel, eine Gruppe betrunkener Nachtschwärmer konnte sich gerade noch in einen Hauseingang retten, sonst wären sie unter die Hufe des Pferdes geraten. Violet wischte mit der Hand über das beschlagene Fensterglas um hinauszusehen, doch sie konnte außer vorüberjagenden düsteren Fassaden und einigen verwischten Lichtern wenig erkennen.
Bei diesem Tempo hätte sie doch längst in der Cullum Street sein müssen. Es wurde ihr unbehaglich – hatte der Kutscher ihr Fahrziel vielleicht falsch verstanden? Hatte er deshalb eine Weile gezögert, bis er die Pferde antrieb? Aber wieso hatte er dann nicht nachgefragt?
Sie öffnete den Kutschenschlag und wurde auf der Stelle von einem Schwall schmutzigen Wassers durchnässt, denn die Kutsche preschte rücksichtslos durch alle Pfützen.
„He Kutscher!“, rief sie laut, nach rückwärts gewendet. „Wo fahren Sie denn hin? Ich will
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