Schwarze Rosen
Ciuffi.
»Wie ist das Verhör im Gefängnis gelaufen?«, fragte er ihn gleich.
»Leider hat sich nichts Neues ergeben.« Ciuffi berichtete, dass Nabil Boulam lediglich das wiederholt hatte, was er bereits ausgesagt hatte, ohne weitere Informationen preiszugeben, abgesehen von den Umständen des Telefongesprächs, das Karina mitgehört hatte. »Da hat er sich zuerst ein bisschen aufgeregt, Capo, als er kapiert hat, dass sie es war, die uns seinen Namen genannt hat. Und auf mein beharrliches Nachfragen hin hat er mir seine Version erzählt …«
»Und die wäre?«
»Dass er mit einem seiner Kunden gesprochen hat …«
»Wem gehörte das Handy, das er benutzt hat?«
»Karina.«
»Aha! Und wie heißt der Kunde?«
»Das weiß er nicht, auch nicht, wo er wohnt. Ebenso wenig erinnert er sich an den Grund des Telefonats. Wahrscheinlich, meinte er, ging es darum, eine Verabredung zu treffen.«
»Verstehe, er will es uns nicht sagen. Dieser Boulam ist mit allen Wassern gewaschen.«
»Sieht so aus. Aber wir könnten uns die Nummer von Karinas Handy beschaffen, Chef.«
»Wie denn?«, fragte Ferrara. »Wer weiß, auf wen dieses Telefon eingetragen ist. Wir müssten Verbindung zu ihr aufnehmen. Ich werde Teresa darum bitten – nein, ich kümmere mich selbst darum. Ich habe einen Kontakt in Moskau, der bei der italienischen Botschaft arbeitet.«
»Gute Idee, das könnte zumindest dazu dienen, Nabil Boulam der Lüge zu überführen.«
»Gut, dann schreib du inzwischen einen Bericht an den Staatsanwalt. Jetzt ist er an der Reihe, Boulam zu vernehmen und ihm die konkreten Anklagepunkte zu unterbreiten. Wenn Boulam weiter lügt, könnte er zusätzlich der Falschaussage gegenüber der Staatsanwaltschaft beschuldigt werden. Das wäre eine Verurteilung mehr, falls er sich nicht entschließt, die Wahrheit zu sagen.«
»Alles klar, wird erledigt.«
Ferrara ging in Venturis Büro hinüber. Dort fand er den Ispettore über die Unterlagen der Brasilianerin gebeugt vor. Er ordnete sie sorgfältig und machte sich dabei Notizen. Es war alles darunter: Kontoauszüge, Abrechnungen, Reisepässe, ein Stapel persönlicher Briefe, einige davon vergilbt …
»Hast du schon alles durchgesehen?«, fragte der Commissario gespannt, der an die Vorwürfe des Oberstaatsanwaltes dachte.
»Nein, noch nicht ganz. Es ist ein ziemliches Durcheinander, und bisher habe ich nur das hier gefunden.«
Der Ispettore hielt einen Terminkalender des aktuellen Jahres 2004 in die Höhe, der auf der Seite für Sonntag, den 20. Juni, aufgeschlagen war.
Der Commissario setzte die Brille auf und las:
Gestern Nacht ein Versehen, aber nicht von mir. Er war da! Wird jetzt etwas passieren? Ich habe Angst …
»Sie hatte Angst?!«
Dann fiel sein Blick auf den unteren Rand des Blattes. Dort war mit schwarzem Kuli eine Blume gezeichnet.
Die schwarze Rose?
»Hast du das gesehen?«, fragte er den Ispettore und tippte mit dem Zeigefinger darauf.
»Natürlich. Und bis jetzt habe ich diese Zeichnung auf keiner anderen Seite entdeckt«, antwortete Venturi.
»Sonst noch was?«
»Ja, ein weiterer Eintrag unter dem Datum vom Freitag, dem fünfundzwanzigsten Juni.« Ferrara blätterte zu diesem Tag:
Endlich! Ich bin beruhigt worden und wieder zuversichtlicher.
»Noch etwas?«
»Nein, nichts Interessantes jedenfalls. Auf manchen Seiten stehen so Verse, scheinen im Drogendelirium entstanden zu sein.«
»Sie hatte Angst wegen eines Versehens, an dem sie nichtschuld war. Was kann das sein? Und dann: Er war da! Wer? Nach ein paar Tagen wurde sie beruhigt. Von wem? Und weswegen? Wir müssen in ihrer Vergangenheit nachforschen. Außerdem halte ich es für zweckmäßig, die Nichte noch einmal eingehender zu befragen. Sie soll uns erklären, wovor ihre Tante solche Angst hatte. Wir können nicht ausschließen, dass Madalena Da Silva einer Sekte angehörte, der sie letztendlich zum Opfer fiel. Es wäre gewiss nicht das erste Mal, dass Adepten getötet werden.«
»Gut, das erledige ich, Chef.«
»Sag mal, hast du eigentlich auch das Mitgliederverzeichnis mitgenommen?«
»Nein, warum? Soll ich es mir geben lassen?«
»Noch nicht. Eventuell sage ich dir Bescheid.«
»Einverstanden.«
Der Commissario blieb den ganzen Tag über grüblerisch.
Schlechtester Laune schloss er sich in seinem Büro ein und dachte daran, wie dieser grausame Mörder jetzt ruhig und vergnügt irgendwo herumsaß, sich in seinen Erfolgen sonnte und nur darauf wartete, wieder zuzuschlagen. Und sei es
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